redACtionsbureau Reportage
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Im Land des roten Drachen (RMI 11/2016)

Durch Wales auf Nationalpark-Route

Stolz spiegelt der rote Drachen die Einheit von Wales wider. Zerrissen indessen scheint die Meinung der Menschen zum Brexit. Diesen Eindruck spiegelt unsere Sommerreportage 2016 aus Wales. Die Tour führte uns durch dieses freundliche zurückgezogene Land und durch die politische Ratlosigkeit Großbritanniens. Drei walisiche Nationalparks bewahren wunderbare Naturschönheiten, Rückzugsgebiete seit keltischen Zeiten. Wir haben sie als Teil unseres Projekts "The Celtic Ways" besucht.



Wales: Nationalpark-Route

Im Land des roten Drachen

Stille Bergwelten und einsame Täler, weite Sandstrände und eine spektakuläre Küste, die von Burgen, keltischen Forts und Steinzeitgräbern gesäumt ist: drei Nationalparks bewahren die Naturschönheiten von Wales.

Text: Heinz Bück, Fotos: Heinz Bück und Sigrid Schusser

Über dem Castle flattert der rote Drache im frischen Wind. Die Universitätsstadt Aberystwyth ist erreicht. Ein guter Ort für ein ausgiebiges Bad in der Irischen See. Wir kommen vom Snowdonia Nationalpark. Nach drei Tagen Bergwandern freuen wir uns aufs Meer. Der endlose Sandstrand ist fantastisch. Cardigan Bay erstreckt sich über 100 km von der stillen Lleyn-Halbinsel südwärts. Vor uns liegen die walisischen Seebäder Aberdyfi, New Quay und Aberporth. Davor der Seehafen Fishguard. Wir wollen weiter an der Küste bis zum Pembrokeshire Coast NP, dann landeinwärts zum Brecon Beacons NP, zum Abschluss Cardiff. So die Planung (kürzeste Runde von Hull über Liverpool und zurück nach Dover gut 1100 km, von Newcastle 1200).

Küstenregionen sind naturgemäß weltoffen. So auch diese. Die hiesigen Grafschaften Gwynedd und Ceredigion haben mehrheitlich für den Verbleib in der EU votiert. Ansonsten nur noch die Gebiete um die walisische Hauptstadt. Der Rest des Landes war mit gut 52% für Brexit. Doch mit wem wir auch sprachen in Läden und Pubs: inzwischen herrscht in GB eher Ratlosigkeit über das eigene Votum.

Hinter uns liegen Angelsey und Holy Island, eine abgelegene Welt von großer Magie: die Inseln der Druiden, zerstört von den Römern. Menhire bezeugen uralte Beziehungen zu Cornwall, Frankreich und Spanien schon zur Steinzeit. Grabkammern wie Bryn Celli Ddu aus der Maeshowe-Kultur (2.500 vor Chr.) verweisen nach Irland und Schottland. Nach astronomischen Gesetzen lassen sie das letzte Abendlicht bei Wintersonnenwende punktgenau in die Ganggräber. Diese erstaunliche Hochkultur prägte die gesamte westatlantische Küstenlinie, nicht zuletzt die walisische. Die eisenzeitliche Rundhäuser der keltischen Siedlung am Stack Lighthouse (500 v. Chr.) gleichen den keltischen Castros in Galizien und verdeutlichen augenfällig: Europa ist seit Jahrtausenden wirtschaftlich und kulturell verbunden. Wir fragen uns ernsthaft: „Wozu Brexit?“

Wales ist voller Gegensätze, landschaftlich und sozial, ein wunderbares Zeit-Reiseland. Es vereint eine sehr präsente Geschichte und eine kreative Moderne. Seine abgeschiedenen Inseln und Bergwelten sind erprobte Rückzugsgebiete. Nicht nur für heutige Touristen und Naturfreunde. Schon die Kelten behaupteten sich in den unwegsamen Regionen gegen die römischen Besatzer. Ebenso erfolgreich entzogen sie sich der Macht der Angelsachsen. Bis die Normannen kamen. Die Reihe der mittelalterlichen Zwingburgen von Eduard I. entlang der Küste sind heutzutage touristische Attraktionen: Beaumaris, Caernarfon, Harlech und Conwy, oder Aberistwyth Castle, vor dem wir nun stehen.

Doch der „Iron Ring“ konnte den roten Drachen niemals bändigen. Überall flattern stolz seine Fahnen im Wind. Das Unabhängigkeitsstreben der Waliser ist sehr alt. Wohl deshalb blieben keltische Kultur und Sprache bis heute bewahrt. Kymrisch ist neben Englisch zweite Amtssprache, im Norden sogar die Sprache des Alltags. Straßen- und Ortsschilder sind zweisprachig.

Dass Zeitreisen in Wales nicht rückwärtsgewandt sind, beweist ein Besuch in Machynlleth. Die alte walisische Haupstadt war schon 1400 ein Widerstandsnest. 2016 haben hier im County Powys 60% für Brexit gestimmt. In den immergrünen Tälern der Snowdonia Mountains vereinen sich Renitenz und Freiheitsliebe.Tradition kollidiert mit Moderne. So thront eine progressive Trutzburg für Zukunftsfragen auf dem ehemaligen Schieferbruch über der Stadt: das Centre for Alternative Technology (Öffnungszeiten: 10 bis 17 Uhr). Für Naturfreunde und Futuristen, für Technikfans und Familien mit Kindern nicht nur bei Regen wärmstens zu empfehlen (Campingplatz in 250m: Llwyngwern Farm). CAT lebt und lehrt seit 40 Jahren regenerative Technik, ökologischen Landbau und nachhaltige Architektur.

Die wassergetriebe Zahnradbahn hebt uns sanft hinauf. Wir treffen Paul Allen wieder, einen der führenden Köpfe der hiesigen Denkfabrik. Er berät die walisische Regierung in Umweltfragen. Paul ist ein großer Naturfreund und hat nie selbst ein Auto gefahren. Sonderbar in heutigen Zeiten? Nun, er lebt und denkt konsequent CO2-reduziert. Seine Studie über karbonfreies Wirtschaften der Zukunft hat Aufsehen erregt: Zero Carbon Britain bis 2030 dank alternativer Energien und E-Mobilität. Doch diesmal bewegt uns der britische Dauerbrenner Brexit. Kopfschütteln auf beiden Seiten: hoffentlich lässt sich das reparieren!

Im Snowdonia Nationalpark steht Fuß-Mobilität auf dem Programm. Viele erklimmen hier den Snowdon oder nehmen die Bergbahn. Sir Edmund Hillary trainierte an ihm zur Erstbesteigung des Mount Everest. Der "Schneeberg", der höchste in Wales (1.085 m), ist in der Saison glatt überlaufen. Bei 1479 km Fußwegen auf 2170 km² Nationalpark finden wir mehr Ruhe und Abgeschiedenheit nahe Dollgelau. Auf dem Cadair Idris, (anspruchsvolle 893 m) belohnt uns eine fantastische Fernsicht auf die Irische See.

Ihr folgen wir ab Aberistwyth auf meeresnahen Straßen. Wunderbare Strände und Klippen liegen auf dem Weg. Burgen und Steinkreise, Menhire und Dolmen. Der Pembrokshire Coast NP (620 km²) in Südwestwales stellt ein bedeutsames amphibisches Reservat für Seevögel dar. In die steile, vom Meer zerrissene Küste schmiegen sich zahllose Buchten mit natürlichen Häfen, davor kleine Inseln und Archipele.

Brecon Beacon NP liegt zwischen dem Black Mountain im Westen und den namensgleichen Blackmountains im Osten, an der englischen Grenze. Dazwischen die Central Beacons. Ihr dominierendes Wahrzeichen ist die kraterhafte Skyline des Pen-y-Fan (886 Meter). Die Ranger im Visitor Center von Brecon zeigen uns den Aufstieg in das karge immergrüne Hochland am „Beacons Horseshoe“. So muss Nordeuropa nach der letzten Eiszeit und dem Rückzug der Gletscher ausgesehen haben: fantastisch.

Krönender Abschluss dieser Tour ist Cardiff (walisisch: Caer Dydd, das Fort am Taff). Der Empfang am City-Camping (www.cardiffcaravanpark.co.uk) verblüffend direkt: „Sorry for Brexit!“ Fassungslosigkeit auch hier. Der Platz liegt direkt am wunderschönen Bute Park, unter dessen alten Bäume die halbe Stadt spazieren geht. Daneben das Schloss des Prinzen of Wales, über dem Castle der rote Drache. Stadteinwärts Einkaufsmeile, Markthalle und historische Arkaden. Ringsum Cafes und Restaurants. Eine weltoffene, sympathische Stadt. Mit dem Hop-on Bus ist sie am besten zu erkunden (Tagesticket 12,50£) und Cardiff Bay prima mit dem Rad zu umrunden.

In der City haben die Pubs geöffnet, mit Live Musik nicht nur am Wochenende. Preiswert essen geht man im Old Brewery Quarter. Auf den Speisekarten stehen Barfood und traditionelle walisische Gerichte, teils modern zubereitet:

verblüffend lecker die Lamburger, das sind Ham(mel)burger mit würzigen Lammklößen
Fisch und Steaks gibt’s überall, mit handmade Chips aus frischen Kartoffeln
vegetarische Gerichte sind nicht nur hier in der Großstadt zu finden.

Dazu trinkt man ein fruchtiges Ales, das Pint ab 3£. Mindestens zehn Zapfhähne sprudeln an jeder ordentlichen Bar. Experimentierfreudige probieren alkoholfreie „Designer-Cocktails“, Erdbeer-Gurken-Limonade oder Ginger-Fizz, 2 für 5£: echt zum Schütteln!

Auf dem Werftgelände der Bay ist ein futuristisch anmutender Stadtteil entstanden, überragt vom Millenium Building und der markanten Architektur des Parlamentsgebäudes, des "Senedd" (frei zu besichtigen). Wie es hier weitergeht? 1998 wurde die Nationalversammlung und politische Autonomie für Wales geschaffen. Der Wahlspruch: „Y Ddraig Goch ddyry cychwyn - Der rote Drache rückt vor“. Warten wir ab in welche Richtung.

Mehr zu "The Celtic Ways" in unseren Sommerreportagen.

Hier ist der Etappenbericht "Im Land des roten Drachen" aus der Nummer 11/2016 von Reisemobil International.

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