redACtionsbureau Reportage

Durchgangsstationen: Transition Town Totnes

Mit den Permakulturisten in die postfossile Gesellschaft in Devon

3. Juli 2015 — Totnes, Südengland, County Devon


Big Bens weltbekannte Glockenschläge erschallen von der St. Mary's Church. Zehn dumpfe Schläge folgen dem melodiösen Geläut, als wir hinaufsteigen in die historische Altstadt. Um 10 a.m. öffnet freitags der Wochenmarkt in Totnes. Wir sind pünktlich.

Westminster gibt auch hier den Ton an. Dennoch kommen aus dieser südenglischen Kleinstadt im County Devon vollkommen neue Klänge. Auch sie finden inzwischen weltweit Resonanz. Totnes ist das Zentrum der Transition-Town-Bewegung um ihren ökonomischen Vordenker Rob Hopkins. Der geborene Brite hat seinerzeit in Kinsale, Irland, Wirtschaftswissenschaften gelehrt. Zusammen mit seinen damaligen Studenten hat er ein Aufsehen erregendes Stadtkonzept entwickelt. Es setzt auf lokale Erzeuger und Märkte, folgte den Ideen der Permakultur und zielt auf Nachhaltigkeit und Effizienz in einer Welt, deren Ressourcen aufgebraucht werden. In der Transition Town Totnes (TTT) wurde es erstmals umgesetzt und hat mit Blick auf die ausgeschöpften Energiereserven dieser Erde für 2030 den Übergang in die postfossile Gesellschaft vor Augen.

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Wir sind um 13:30 Uhr mit Hal Gillmore im REconomy Centre verabredet, dem hiesigen Think Tank der Transition Town Bewegung. Als Direktor von Futurebound Ltd., einem sozialen Unternehmen, das Studienaufenthalte und die offiziellen Touren durch TTT organisiert, arbeitet er hier ehrenamtlich mit. Hauptberuflich ist er selbstständiger Unternehmensberater und als Führer und Trainer tätig. Bis zu unserem Treffen ist also Zeit satt, um den heutigen Markt zu besuchen. Durch die Hauptstraße drängen Menschen hinauf zur Townhall, wo die Stände und bunte Zelte aufgebaut sind, die einem mittelalterlichen Markt gut zu Gesicht ständen. Wie damals kommen die Erzeuger aus dem ländlichen Umfeld und bringen ihre Erzeugnisse in die Stadt.

Gemüse, Kartoffeln und Obst, Pflanzen, Setzlinge und Blumen, Brot und ferngereister Fisch aus Plymouth. Lokale Erzeugnisse stehen hier überall hoch im Kurs, an den Ständen und in den Läden ringsumhin. Supermärkte sind nicht zu finden, dafür Einzelhändler, Kleingewerbe und Handwerker zwischen Teestuben und Bioläden.

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Der Markt ist gut besucht. Es gibt Brot und Backwaren aus örtlichen Öfen und frische Eier aus dem direkten Umland, von Enten und Hühnern. Dazwischen Trödel und Kunsthandwerk, Schaffelle für £45 und T-Shirts für je £2 im Dreierpack. Die Kollision von althergebrachtem Absatz, von globalen und neuen alternativen Märkten ist hier besonders deutlich. 1€-Ramsch aus Fernost, Thai-Schrott und India-Kitsch zwischen Räucherkerzen und elefantenköpfigen Ganesha -Skulpturen.

Wer in Totnes begrünte Dächer erwartet, auf denen Schafe und heilige Kühe grasen, wird enttäuscht sein. Selbst Sonnenpaneele muss man suchen. England ist sehr rückständig, was private und öffentliche Investitionen in Zukunftstechnologien angeht. Und auch Totnes ist eine recht normale und normal wirkende Stadt. Hal Gillmore erklärte sehr humorvoll, welch maßlose Erwartungen von Globalisierungsgegnern und Ökopilgern aus ganz Europa an die Analysten und Aktivisten hier in Totnes herangetragen werden. „Sie denken, wir sind in der Lage, den Weltuntergang abzuwenden, im Stande, den Klimawandel in den Griff zu bekommen, und im vollen Gange, die reine lokale Selbstversorgung zu betreiben, weil wir die Energiewende vollzogen und eine autonome Landwirtschaft aufgebaut haben.“ Die Normalität der Stadt drückt solche Erwartungsfreude auf ernüchternde Weise.

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"In Wahrheit sind wir seit 2005 dabei, ein alternatives Stadtkonzept umzusetzen, Überzeugungsarbeit zu leisten, Gruppen und Kooperativen zu bilden und lokale Initiativen, Erzeuger und Unternehmer zu stützen", relativiert Hal die hohen Erwartungen an die Öko-Protagonisten. Sie haben die regionalen Märkte analysiert und gestärkt und können heute für die Region feststellen, dass 90% der Arbeitsplätze in Betrieben unter zehn Mitarbeitern liegen.

TTT stärkt lokale Initiativen und Betriebsgründungen. Futurebound bringt dazu alternative Betriebsgründer und ideenreiche Querdenker mit bereitwilligen Geldgebern zusammen. Sie schulen und bilden die Leute vor Ort. Es gibt Arbeitskreise zu Energieeinsparung und Nachhaltigkeit, oder zu ökologischem Landbau und energiebewusstem Hausbauen. Der Transition Homes Community Land Trust unterstützt privaten Wohnungsbau für Normalverdiener und die haben um die £20.000 im Jahr, während durchschnittliche Eigenheimbesitzer in UK auf £50.000 Jahressalär kommen.

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Zugleich arbeiten die Aktivisten und Analysten das internationale Netzwerk aus, um die Ideen und Erfahrungen zu teilen. Es geht nicht zuletzt um eine neue Ökonomie, die die Zentren von den globalen Strukturen abkoppeln, die Abschöpfung und den Abfluss von Kapital an Banken, Wohnungsbaugiganten und Konzerne verhindern und es stattdessen lokal binden soll. REconomics ist das Motto und zugleich ein volks-wirtschaftliches Konzept, das sich gegen die weltweit entstandene Branchenoligopole wendet und die Lebenshaltungskosten durch kurze Wege senken will. Lokalisation tritt gegen Globalisation an. Mit dem Totnes Pound wurde daher eine lokale Währung geschaffen, die den Markt unabhängig von der Weltwirtschaft machen soll.

Inzwischen ist Totnes das Mekka dieser weltweit raumgreifenden Autonomiebewegung, ihr Guru Rob Hopkins, ihr Medina Kinsale in Irland, wo die Konzepte entstanden. Doch ungeachtet der ursprünglichen Personifizierung über Hopkins hat die Bewegung inzwischen eine selbsttragende personelle Breite, die sie unabhängig macht vom Karma des Gründervaters. „Früher war TTT mit Robs Gesicht verbunden. Mittlerweile ist das nicht mehr so“, bestätigt Hal Gillmore. Fantasie, Aktionismus, Kreativität und der Ideenreichtum der Mitglieder sind es vor allem, denen die TT-Bewegung ihren breiten Zulauf und ihre Zukunftsfähigkeit zu verdanken hat.

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Das bedeutet nicht nur einen hohen nachhaltigen Energieaufwand auf den politischen Ebenen des Town, District und County Councils, wo die diversen Entscheidungen fallen, sondern auch viel Überzeugungsarbeit im traditionell konservativen Umfeld der Grafschaft Devon. „Wir sind eine rot-grüne Insel in einem uns umgebenden blauen Ozean“, lacht Hal und ergänzt: „Blau ist bei uns in UK die Farbe der Konservativen Partei.“ Hinzu kommt für Futurebound eine stete ökonomische Herausforderung, um in der herrschenden Ökonomie selbst finanziell bestehen zu können. Als gemeinnützige Stiftung organisiert, finanziert sich der Fond nämlich selbst aus Spenden, Mitgliedschaften, Veranstaltungen und Workshops, getragen von der Arbeit der vielen freiwilligen Helfer. Gemeindearbeit ist identitätsstiftend.

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