redACtionsbureau Reportage

Hochgekocht und ungeklärt: Irish Water

MacGill Summer School and Arts Week 1981-2015

21. Juli 2015 — Glenties, County Donegal

Alljährlich lädt die Patrick MacGill Summer School in Glenties, County Donegal, zum einwöchigen Kulturforum in den Nordwesten der Republik. Meistens ist das Ende Juli. Die Workshops, Diskussionsrunden und Vorträge sind erstklassig, öffentlich und für ein geringes Entgelt jedermann zugänglich. Das Programm liefert die irische Vergegenwärtigung in Kultur, Kunst und Politik.

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Wer an sommerlichen Tagen die "Irischen Highlands" besucht und Glenties erreicht, sollte unbedingt einmal reinschauen und -hören, was die Iren so bewegt: Vergangenheiten werden beschworen, Gegenwarten analysiert und Zukunftsthemen behandelt. Der Wissenschafts- und Kulturbetrieb entsendet renommierte Speaker und besonders die politische Klasse nutzt das Event nur zu gerne als Plattform, um eigene Standpunkte zu wiederholen, wenn nicht sogar zu erklären.

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2015 lautete das Motto des 35sten Events: „2016 – IRELAND at the Crossways“, eines seiner meist emotionalen Themen: „The Irish Water Saga – What now for ensuring supply to future generations?“ Ein Zukunftsthema von nationalem Interesse will und muss geklärt werden: Wasser. Die Lage ist brisant. Die Hälfte des Trinkwassers geht bereits auf dem Wege in die Haushalte in leckenden Leitungen verloren. Was ankommt, muss vielfach abgekocht werden, denn es ist kontaminiert. 30% der privaten Brunnen sind mit Kolibakterien verseucht, heißt es. In Spitzenzeiten tropft es in dicht besiedelten urbanen Zentren wie Dublin nur noch aus dem Hahn. Eine Pipeline aus dem Westen soll das Versorgungsdefizit kompensieren helfen.

Was die Gemüter aber erhitzt, ist, dass Wasser in Irland seit je kostenlos zu haben war, ein alt hergebrachtes Recht an einem allgemeinen Gut wie in vielen angelsächsischen Ländern. Seit der Neuzeit ist die Versorgung eine Aufgabe des Staates. Doch 2013 wurde alles anders. Das Leitungsnetz veraltet, das Abwassersystem marode, das Geld dem gehäuteten Celtic Tiger nachgeschmissen, da gab es für die Regierung kaum eine andere Idee, als die benötigten Infrastrukturkosten für den drängenden „Investitionsplan Wasser“ durch Wassergeld einzutreiben. Irish Water wurde gegründet, eine Wasserwirtschafts- und Wasserversorgungsgesellschaft. Sie tat, was ihr geheißen wurde, und installierte sogleich Wasseruhren, die neue Zeiten einläuteten: Wasserrechnungen wurden von nun an fällig.

Doch die Hälfte der Iren zahlte nicht. Als Steuerzahler und Verbraucher zur Kasse gebeten zu werden, bedeutet für sie, zweimal zahlen. Meter wurden manipuliert und sabotiert, Mahnungen ignoriert. Ein politischer Flächenbrand war entstanden, den bislang kein heilendes Wasser mehr löschen konnte. Im Streit der Parteien, wechselnd zwischen Opposition und Regierungsverantwortung, waren die Ziele, Wege und Finanzierung der längst überfälligen Infrastrukturmaßnahme alsbald verwässert und erste notwendige Einsichten von den Wogen der Entrüstung dahingespült.

Befragte Zaungäste in Glenties erzählten, besonders erbost seien viele Iren, dass der neu gegründete staatliche Apparat mit abgehalfterten Politgrößen und wirtschaftsfernen, hochbeförderten Beamten besetzt worden sei und dass man diese zugleich auf dreiste Weise mit überzogenen Gehältern und Bonuszusagen ausgestattet habe, bevor überhaupt eine Hand gerührt worden sei. Das kommt dem Reisenden bekannt vor. Doch in Irland kann der Skandal die Regierung den Kopf kosten.

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Irish Water steht seitdem selbst zur Diskussion. So jedenfalls auch in Glenties, wo sich die politische Klasse vor vollem Hause auf die Bühne des Highland Hotels setzte, um zumindest die Positionen zu klären. So eröffnete der Direktor der MacGill Summerschool, Dr. Joe Mulholland, an diesem Abend eine Podiumsdiskussion zu einem Thema, dessen öffentliche Debatte den Siedepunkt in den letzten Wochen und Monaten gerade überschritten hatte: "Tja, was nun, was tun?"

Der irische Umweltminister Alan Kelly war da, der Chef von Ervia Michael MacNicholas, der verantwortlich ist für die Infrastruktur von Gas Networks und Irish Water, dann Pearse Doherty, der finanzpolitische Sprecher von Sinn Féin, und Eamon Ryan, der Parteichef der Grünen. Demonstranten und Protestler blieben draußen. Polizei stand in gelben Westen am Eingang wie Türsteher vor Diskotheken.

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Eamon Ryan – he´s a good guy – hatte die meisten Sympathien des Auditoriums: „Es geht hier um Umweltfragen. Und die Umwelt, das sind nun einmal wir: alle mit- und füreinander. Die vergiftete Atmosphäre der zurückliegenden Debatten schadet uns. Wir sollten rücksichtsvoll und respektvoll mit unserer Umwelt umgehen. Denn Wir sind es, um die es geht“. Allgemeiner Beifall.

In der Grobanalyse zumindest besteht parteiübergreifend weithin Einigkeit: Es geht um Irlands Zukunft. Beifall. Um gerechte Verteilung der Kosten und die Bezahlbarkeit einer guten Wasserqualität. Starker Beifall. Bei steigender Bevölkerungszahl, klimatischen und globalen Problemen und unter der Last eines durchweg überalteten Versorgungssystems... Allgemeines Schweigen. Heutzutage kochen über 40 Prozent der Iren ihr Trinkwasser ab. Es ist nicht sauber, oft sogar kontaminiert, die Leitungen teils verrottet. Jawohl. Und ebenso wenig geklärt sind Abwasser und Kanalisation. Ernste Gesichter.

Es geht um die Versorgung der kommenden Generationen, darin sind sich alle einig. Wenngleich der Weg umstritten ist, strittiger denn je. Denn je länger diskutiert wird, umso mehr Vorschläge tauchen auf: Soll es ein einheitliches nationales System sein, soll es lieber eine lokale oder regionale Versorgung geben, ist die Zusammenlegung mit Nordirland in einem inselweiten Verbund die Lösung? Und muss oder darf es überhaupt ein staatlich installiertes, möglicherweise kontrolliertes Wassermonopol geben? Muss es über Steuern oder Gebühren finanziert werden? Selbst die Griechen zahlten für ihr Wasser... Gelächter... Soll es ein verbrauchabhängiges Wassergeld geben oder eine fixe Haushaltspauschale? Fragen über Fragen.

Nach Ansicht des irischen Grünenchefs kann es jedenfalls nicht darum gehen, zu überlegen, „ob Irish Water mit ihrem vorgelegten Zukunftsplan bis 2020 und mit ihren geforderten, grob kalkulierten 50 Milliarden Euro überhaupt gelingen könne oder solle, die steigende Nachfrage zu decken. Es gehe darum, wie die Gesellschaft lernen kann, weniger zu verbrauchen und umsichtiger mit der knappen Ressource umzugehen. So ist das mit der Grünen Insel.

Wer die Diskussion verstehen und das Debakel weiterverfolgen möchte, findet bei den Kollegen von "The Journal" eine eigene lange Rubrik zum aufkochenden Thema.

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