redACtionsbureau Reportage

Bei Patsy Dan: Audienz beim Inselkönig

Tory Stories: vom King of the Isle und vom Wild Atlantic

Rossgill – Tory Island

Seit alten Zeiten haben die irischen Inseln ihre Könige selber gewählt, von Rathlin Island im Nordosten bis zu den Aran Islands in der Galway Bay und den Blasketts im Südwesten vor der Dingle Halbinsel. Diese Tradition wurde erst im modernen Nationalstaat aufgegeben, nur nicht auf Tory Island im County Donegal. Ihr Monarch Patsaí Dan Mac Ruaidhri amtiert seit mehr als 20 Jahren. Er lässt es sich nicht nehmen, jede einlaufende Fähre am Pier selbst zu begrüßen und die Besucher und Heimkehrer mit Handschlag und einem freundlichen Gruß gleich an der Gangway persönlich willkommen zu heißen. Ein wahrhaft königlicher Empfang und zugleich ein majestätischer Auftritt.

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Jedes Mal wenn das Boot aus Magheroarty oder Bunbeg kommt, steht Patsy, wie der King liebevoll genannt wird, mit seiner schwarzen Skippermütze am Kai, mit weißem Hemd und Jackett, an sonnigen Tagen mit dunkler Brille, bei Regen mit hochgeschlagenem Kragen in seinen schwarzen Mantel gehüllt. Golden glänzen die Ringe an seinen Händen, golden sein verwegener Ohrring, blitzeblank seine frisch geputzten Lackschuhe, weiß die Socken. Sein herbes Parfüm wird von den Damen belächelt und heimlich bespöttelt, doch nicht ohne den gebotenen Respekt vor dem King zu bekunden, dem König von Tory Island. Er weiß sehr gut zu repräsentieren, erntet Bewunderung, erwidernde Herzlichkeit und skeptische Reserviertheit und zuweilen ein ratloses Lächeln für sein Aufsehen erregendes Erscheinen. Doch weithin genießt Patsy Dan große Sympathie für seine offene und freundliche Art. Er ist der Fürsprecher, Schlichter und Promoter seiner Insulaner, ein Naturtalent als PR-Professional. Und auch nach zwanzig Jahren gibt sich der Siebzigjährige kämpferisch wie eh und je. Unaufhörlich geht es um den Bestand der Insel und den Fortbestand der Gemeinde, seit Urzeiten schon.

Die ferne Insel vor der Küste des ohnehin schon abgelegenen Donegal ist die nordwestlichste Irlands, 10 km weit draußen, mitten im Nordatlantik. Sie ist eine Gaeltacht, eine Region, die weitgehend noch irisch spricht und sich ihre eigene Kultur und renitente Selbstständigkeit bewahrt hat.

In den 70er Jahren wütete eine schwere Sturmflut. Es gab Tote. Deiche oder einen befestigten Hafen hatte Tory nicht. Ungeheure Winde trieben das Wasser über die Ufer, die See stieg ein, tosende Flut und heftige Orkanböen verwüsteten das kultivierte Land und zerstörten Häuser und Straßen. Die ärmliche Infrastruktur der Insel war zerschlagen. Ohne nennenswerte Uferbefestigung war das isolierte Eiland schutzlos dem schweren Orkan ausgesetzt, 10 Kilometer vor der Küste im tobenden Atlantik.

Damals wollte die Regierung die kleine Insel endgültig evakuieren. „Nur um die Kosten der Instandsetzung zu sparen“, knurrt der König grimmig: „Dabei waren Teile der Nordküste Donegals noch viel schwerer betroffen als wir.“ Doch hartnäckiger Widerstand der Insulaner und heftigste Proteste von loyalen Freunden im ganzen Land brachten die Pläne der Regierung zu Fall, nicht zuletzt die Solidarisierung von Sympathisanten weltweit.

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Ihre Spenden und staatliche Gelder halfen dann doch noch beim Wiederaufbau. Inzwischen gibt es einen rudimentären Hochwasserschutz vor West Town. East Town, eine Meile weiter, liegt eh höher auf dem Land. Eine Hafenmauer wurde gebaut, die das groß angelegte Becken schützt. Und es wurde erstmals eine regelmäßige Fährverbindung eingerichtet. Zuvor war die Insel recht abgeschnitten von der entlegenen Welt des ehedem einsamen Donegal. Eine Krankenstation wurde gebaut und eine Gemeindehalle. Eine bescheidene Infrastruktur entstand. Es ging langsam wieder aufwärts, mit Anschluss an die Moderne und Öffnung für den Tourismus.

Trotz der Niederlagen und Rückschläge hat er viel erreicht. Patsy Dan hat neben dem Gemeindezentrum ein Altenheim geschaffen. Jetzt können die Alten hier gepflegt werden und müssen nicht mehr zum Sterben aufs Mainland...

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Inzwischen ist Tory dank seiner Abgeschiedenheit und herben Landschaft ein beliebtes Ausflugsziel und nicht nur wegen seiner Musiktradition und Gastlichkeit berühmt. Ihre naive Malschule genießt weithin Anerkennung. Und es war ein Maler und Musiker, den die Bevölkerung von Tory 1993 zum König wählte: Patsaí Dan Mac Ruaidhri. Bis heute ist er im Amt und längst zum Gesicht dieser Insel geworden. Inzwischen hat er die Siebzig passiert. Er spürt die Jahre, sagt er, und er sorgt sich um die Nachfolge, hofft, dass die Insel auch unabhängig von seiner Person Gehör und Beachtung findet. In Sachen Selbstdarstellung und Repräsentation ist Patsy unschlagbar.

Wir müssen die angeregte Unterhaltung unterbrechen. Es gibt eine Gedenkfeier an der Kirche für einen fern der Heimat verstorbenen Insulaner. Der King hat einen offiziellen Termin. Ein Baum wird gepflanzt. Die Priester segnen ihn ein und sprechen ein Gebet. Freunde singen zur Gitarre. Patsy und Bruder Paul spielen Akkordeon, die versammelte Gemeinde singt leise mit. Ein vier Meter hohes Kreuz liegt im Kirchhof hinter der Friedhofsmauer auf dem Rücken zum Lackieren, nebenan flattert die Wäsche in der warmen Mittagssonne, an den Häusern die grüngelben Flaggen des Donegal, dessen Gaelic Football Team heute im Finale der irischen Meisterschaft steht. Im Pub hat die Fernsehübertragung begonnen, einige hocken davor. Donegal verliert bei traumhaftem Wetter.

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Wir treffen Patsy Dan am Hafen wieder. Unverdrossen hat er um öffentliche Gelder gekämpft und um staatliche Förderung, um den Tourismus aufzubauen, um die Gemeinschaft wirtschaftlich zu stärken und um Abwanderung zu verhindern. Es ist ihm gelungen. Inzwischen sind sogar drei Familien hinzugezogen. 8 Geburten auf der Insel stimmen den King zuversichtlich: Es geht aufwärts, ja! Doch es geht ihm alles viel zu langsam. Und so bleibt er eher kämpferisch, flucht über Bürokraten, die ihn ignorierten, und schimpft auf Politiker, die die Gaeltacht diskriminierten. Er redet sich in Rage. Und wenn die Rede auf den „Wild Atlantic Way“ kommt, schäumt der King: Er habe Gott gedankt, als er erstmals davon hörte. Denn dieses Projekt versprach breite Unterstützung. Doch dann kam die bittere Ernüchterung. Tory wurde nicht aufgenommen in die 150 ausgewiesenen Attraktionen, die die 2500 km lange touristischen Straße säumen. Während auf die Arranmoor Isle mit dem wellenförmigen www-förmigen Straßenschild als empfohlener Abzweiger vom Wild Atlantic Way hingewiesen wird, bleibt Tory Island unerwähnt.

Auch als ein paar Hunderttausend Euro für Irlands Leuchttürme bereitgestellt wurden, ging Tory abermals leer aus. Von dem kiloschweren Budget hat der King nichts gesehen, nichts abbekommen. „Wir brauchen dort unten nur ein Toilettenhaus für die Besucher. Stattdessen geht das Geld irgendwo in den Süden. Dabei liegt keiner so exponiert im Atlantik wie wir. Dabei ist hier bei uns der Wild Atlantic, hier bei uns und nicht irgendwo im Süden. Wer – wenn nicht wir - sind der Wild Atlantic“, schnaubt er und die Tory-Fans geben ihm vorbehaltlos Recht: sehr unverständlich das alles. Tory Island ist wunderschön, eine herbe Insel, flach im Süden und mit hohen Klippen und Felsnadeln im Norden, mit Robben- und Vogelkolonien. Jonathan, ein Ornithologe, den wir trafen, zählte bei seinem Aufenthalt 40 Vogelarten. Die Lieblinge sind auch hier die Puffins.

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Patsy Dan kann die Abfuhr nicht fassen und dennoch gibt er nicht auf, immer noch ist der Siebzigjährige kämpferisch wie eh und je. Er ist das Gesicht dieser Insel geworden. Ihr Verhandlungsführer und Motor: „Wir brauchen dringend eine größere und stärkere Fähre“, schimpft er. „Eine, wie die Aran Isles eine haben, die gerade mal fünf Kilometer vor der Küste liegen, während wir hier mit diesem schlingernden kleinen Boot durch die Winterstürme tanzen, wenn es dann überhaupt auslaufen kann.“

Unermüdlich streitet der King für den Fortschritt der kleinen Insel, versucht die Auflagen zu erfüllen oder wegzudiskutieren für die Wohlfahrt seiner 150 Insulaner. Viele hier beziehen Sozialhilfe, alle leben mehr oder weniger und irgendwie vom Tourismus. Die Urlauber während der kurzen Saison sind eine unverzichtbare Einnahmequelle. Der King will nicht locker lassen, die Stellen in Letterkenny zu überzeugen, dass Tory der Inbegriff dieses atlantischen Spektakels ist. 15.000 Gäste kommen immerhin pro Jahr, doch die meisten nur für einen Tag, an stürmischen, regnerischen Tagen kaum einer. Das ist Patsy eindeutig zu wenig, mit einer guten Fähre werde das alles anders. Die B&Bs seien auf nationalen Standard gebracht.

Das örtliche Hotel wurde von einer Familie aus dem Mainland übernommen und renoviert. Mit seinem gemütlichen Pub und einem guten Restaurant ist es eine Empfehlung, die Musik Sessions sind ein wahres Erlebnis. Tory hat eine fantastische Musiktradition, die von der jüngeren Generation getragen wird. Nicht zuletzt sind auch King Patsy und sein Bruder Paul fanatische Akkordeonvirtuosen, die ihr Publikum begeistern und Musiker vom Mainland zu gemeinsamen Sessions anziehen. Wir lassen die letzte Fähre ziehen und quartieren uns spontan für die Nacht hier ein. 40 Euro mit Full Irish Breakfast kostet die Übernachtung pro Person.

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An diesem Abend gibt der deutsche Harfner Thomas Loefke ein Konzert, ein wahrer Genuss. Seit 30 Jahren ist er mit dem King befreundet, seit jenem Tag, als er erstmals abends mit seiner Harfe unter'm Arm auf Tory ankam und nachts von Patsy aus seinem Quartier in die Community Hall geholt wurde: „Ich dachte zuerst, hier ist abends vollkommen tote Hose. Doch um elf geht es hier eigentlich erst los“. So auch heute Abend im Lesezimmer des Hotels. Der King ist zugegen, dankt dem Musiker und den anwesenden Gästen, natürlich nicht ohne zu flachsen und noch ein paar Geschichten aus dem kleinen Königreich zum Besten zu geben.

Die Sessions in der Hall und hier im gemütlichen Pub von Tory Island sind berüchtigt. Pint um Pint, sinnlich, lebensfroh, enthusiastisch und besinnlich. Bis spät in die Nacht spielt Patsy Dan auf. Hingebungsvoll und leidenschaftlich erklingen die traditionellen melancholischen Weisen, das monoton stampfende Stakkato der alten Tanzlieder. Bis weit nach Mitternacht ertönt für gewöhnlich sein altes Akkordeon. Der Grimm auf die Amtsstuben ist dann längst verraucht und fast vergessen.

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