redACtionsbureau Reportage

Per Deklaration: regenerative Neuzeit 2020

Aran Islands Energy Cooperative: weg von fossilen Brennstoffen

29.07. — Inish Mór (engl. Inishmore)

Wir laufen Gefahr, die Fähre zu verpassen. Mit viel Gerappel, Erschütterungen und nass geschwitzt von den extremen körpereigenen Verbrennungsvorgängen kommen wir mit unseren Bikes vom Black Fort und erreichen nach einigen Hundert Metern Piste die geteerte Straße. Sie führt aus ummauerten Parzellen und dem verkarsteten Brachland hinunter an die Bucht von Kilronan.

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Vegetation und Landschaft der Aran Islands haben sich vor und seit ihrer frühen Besiedlung in der Bronzezeit deutlich gewandelt, zuerst durch klimatische Veränderungen und später dann durch menschlichen Eingriff.

Wissenschaftliche Analysen der Sedimente auf dem Grund des Loch Mór, eines großen Binnensees im Osten von Inish Oírr, ermöglichten die Erstellung eines Vegetationsprofils der letzten 10.000 Jahre. Demzufolge stieg beispielsweise der Graslandanteil in der Periode von 1.000 v. bis 800 n. Chr. von knapp einem Viertel auf ein Drittel an, während der Baumbestand von zwei auf nur ein Drittel sank.

Schon im späten Mittelalter ist aufgrund des steten Bevölkerungswachstums ein Mangel an Brennmaterial auf den Aran Inseln überliefert. Der Brennholzbedarf hat im Laufe der folgenden Jahrhunderte den Bestand aufgezehrt. Rigorose Ausbeutung – damals hier wie heute woanders – hatte die verfügbaren Ressourcen restlos verbraucht. Seitdem sind die Inseln fast baumlos.

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Wir biegen ab auf die Killeany Road, die Straße zum Fähranleger, und gehen an die letzten Energiereserven. Jetzt noch mal kräftig in die Pedalen treten, eine Kutsche überholen und endlich sind wir am Hafen. Fahrräder abgeben, Rucksäcke abholen und dann stehen wir pünktlich am Pier. Dort ist derweil großer Bahnhof. Der irische Minister ist soeben mit der Fähre angekommen, der für Kommunikation, Energie und Natürliche Ressourcen. Alex White besucht die Insel, weil die Oileáin Árainn aufgrund einer gemeinsamen Deklaration bis 2020 autonom sein wollen von fossilen Brennstoffen. Er ist auf Einladung von Comharchumann Fuinneamh Oileáin Árainn gekommen, der Aran Islands Energy Co-Op. Bronzezeit West trifft auf die regenerative Neuzeit.

Heute machen sich die Aran Islands zum nationalen Wegbereiter für Konzepte einer regenerativen Energieversorgung.

Das mag für diesen dünn besiedelten Inselkosmos von 50 km² eine erfreuliche Alternative und der gangbare Königsweg sein, allenfalls überschattet von rotierenden Windrädern. Urbane Massengesellschaften haben demgegenüber gewiss ganz andere Beiträge zu leisten: Einsparungen, Kulturwandel und – was die Politik nicht gerne durchgeben mag – Konsumverzicht. Der ist in diesen abgeschiedenen Regionen indessen traditionsgemäß verankert, oder zumindest unvergessen. Noch in den Siebzigern gab es hier keinen Strom, keine Elektrogeräte, kein Fernsehen, kein Radio, nur traditionell eigenes Kulturprogramm, wenngleich werbefrei.

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Viel vorzeitiger noch, so gut 6.000 Jahre zuvor, war die prähistorische Landschaft der Inseln weithin überzogen von Machair. Dieser fruchtbare Boden besteht aus Meeressedimenten und organischen Substraten. Auf diesen Böden wuchsen Hecken, Sträucher und Bäume. Hier gediehen einst Eichen, Eschen und Erlen, Haselnuss, Weiden und auch Pinien. Der Meeresspiegel lag sechs Meter tiefer. Es gab eine felsige Vorküste, mit Sanddünen und Marschland. Später mussten Mauern den Boden halten, wurden Garten- und Feldparzellen angelegt und mit Tang und Sand urbar gemacht. Becken fingen das Oberflächenwasser auf. Heute beherrscht das Karstgebiet das Bild der Insel. Erosion folgte auf Raubbau und Klimawandel, zumal die Bewirtschaftung mühsam und (E)U-nrentabel ist. Die verbliebene kleingliedrige Landwirtschaft dient nur noch, aber immerhin, der Selbstversorgung: hier und da ein Folientunnel. Die jungen Leute wandern ab. Die Bevölkerung der Inseln liegt derzeit bei rund 1.400 Menschen. Im 18. Jh. waren es 5.000. Die handgefertigten Aran Sweater kommen indes aus der Strickmaschine, aus produktionseffizienteren Standorten zum Verkauf.

Auch die Fischerei ist zum Erliegen gekommen, nachdem die EU 1990 die Fischereirechte erworben hat, gegen Subvention für scheinbar zukunftsträchtigere Jobs im Tourismus: Nur ist die Saison hier nun einmal sehr kurz. Der traditionelle Arbeitsmarkt des tertiären Sektors war jedenfalls damit restlos erodiert. Autorisierte Trawlerflotten der schwimmenden Fischindustrie mähen heute gelegentlich den Fischbestand. In der Galway Bay sollen zugleich Fischfarmen die Lachszucht auf- und übernehmen. Die letzten Fischer und die Anrainer wehren sich dagegen: gegen die Überdüngung und Belastung der Gewässer. Sie befürchten den Einbruch der natürlichen Lachsvorkommen und den Rückzug der Seeforellen. Sie fühlen sich von den staatlichen Stellen alleine gelassen.

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Während wir auf die Fähre und Neues aus der Neuzeit warten, muss der Minister los. Schließlich ist er zum Arbeitsbesuch hier. Hier ist offshore und hier muss er ordentlich Wind machen. Das gibt Antrieb und setzt Energien frei. Der Minister nimmt jedoch weder Bike noch Kutsche, auch wenn die Politik oft und gern hoch zu Rosse reitet. Nein das verbietet ihm die Öko-Inszenierung. Er ist von Amts wegen hier und nimmt symbolisch ein "Zero Emission Auto", eines von Renault, einen Renault Fluence Z.E., den sich hier keiner leisten und den hier auch keiner warten kann. Denn die Autos der Inseln sind oftmals schon Wracks und aus Armut zuweilen ohne Zulassung unterwegs – warum auch, für die paar Kilometer. Doch sehen der Minister und der Chef der Sustainable Energy Authority of Ireland (SEAI) Brian Motherway ein nationales, wenn nicht internationales leuchtendes Beispiel heraufdämmern, energetisch gespeist aus windiger Nachhaltigkeit und von tiefem Glauben an die eigene PR. Denn das Wichtigste für die Aran Islands und den Rest der Welt sind schließlich Autos: "A combination of insulation, electric vehicles, heat pumps and wind generation could make the islands entirely “energy independent” by 2022, Sustainable Energy Authority of Ireland (SEAI) chief executive Brian Motherway said" (Irish Times vom 30. Juli 2015)

Der Renault Z.E. liefert dazu die Kulisse und jenes Future-Charisma, das uns und der Welt da draußen glauben machen soll, es werde automobil schon so weitergehen, sogar noch besser als bisher, weil nun emissionsfrei, bis der bleierne Akku leer ist. Das glaubt den angereisten Strategen aus Politik und Industrie sogar die Irish Times, die sich für ihren kritischen Journalismus gerne selbst lobt. Und so stimmt ihre Korrespondentin brav mit ein in den selbst beschwipsten Lobgesang des insularen Öko-Paradigmas und in die Werbung für Renault und macht Elektro-Automobilität dienstbar zum Hauptthema. Der Z.E. verbraucht nämlich keine Energie, der ist "Zero" und fährt auf Strom. Ja, auf Strom, den sie schon bald hier erzeugen werden. Das ist der gloriose energiefreie Zukunftsaspekt und DAS Konzept für die drängenste Frage der westlichen Energiekonsumenten: Wie werden wir nachhaltig Auto fahren können? Mit dem Strom der Zukunft! Auf Windkraft, nix Biodiesel, der uns den Regenwald und Wasser kostet. Denn Gezeitenkraftwerke laufen hier nicht, Sonnenkollektoren haben hier eine nur kurze Hauptsaison und sind zuweilen überschattet. Die Antwort weiß ganz allein der Wind.

Und während der Minister mit globaler Öko-Power von dannen fährt, schaltete der örtliche Dienstleistungssektor des EU-finazierten New Age auf Produktion: die Droschkenkutscher warten auf neue Fahrgäste und "Aran Bike Hire" auf neue Aran Biker Hirer. Zugleich nehmen wir den ÖPNV, den Happy Hooker nach Inis Meáin, dann müssen wir nicht rudern. Die Segler wurden abgeschafft, vielleicht kommen die ja bald wieder.

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