redACtionsbureau Reportage

Im Spracharchipel: Gaeltacht offshore

Die Inseln der Heiligen und Gelehrten: Árann XL M S

29.07. — Inish Mór (engl. Inishmore)

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Wir hatten uns von der Ostinsel übersetzen lassen nach Inis Mór zur „großen Insel“: nach „Árainn“, wie die Hauptinsel mit ihrem zweiten altirischen Namen heißt: der „lange Grat“. Er gibt dem gesamten Archipel seinen Namen: Oileáin Árainn (engl. Aran Islands), einstmals bekannt als die Inseln der Heiligen und Gelehrten. Kurz vor Schließung hatten wir im Visitor Center von Dún Aonghasa die Historikerin Pádraigín Clancy getroffen, eine Gelehrte. Sie hat Geschichte, Folklore und Archäologie studiert. Der Rundgang mit ihr durch die kleine Ausstellung wurde jedoch nicht nur eine erstklassige Einführung in die Entstehung des Forts am Rande der Anderwelt, sondern auch zu einer spannenden Diskussion über die keltische Spiritualität und die irische Sprache. Diese wird gerade auf den Archipelen und Inseln der Westküste noch „gelebt“. Sie hat sich besonders in der Gaeltacht auf den Aran Islands, in der Abgeschiedenheit der Insellage, offshore, leichter und geschützter vor Übergriffen und Einflüssen der englischen Herrschaftssprache bewahren können: wie die bodennahen Pflanzen in den Kluften ihres karstigen erodierten Bodens.

Doch die Gaeltachten, in denen vorherrschend Irisch gesprochen wird, schmelzen wie die Gletscher im globalen Klimawandel. Die letzten verbliebenen Sprachgebiete liegen heute noch überwiegend im Westen: in den Grafschaften Donegal, einige in Mayo und Galway sowie in kleineren Enklaven in Kerry und Cork, und auf den vielen Inseln im Atlantik.

Die soziale Bindungskraft des Gälischen und seine Beziehungslogik reichen über Generationen zurück, bis in mythische Zeiten. Die Begrifflichkeit dieser althergebrachten gälischen Sprachwelt formt und bewahrt „lebendige Landschaften“ aus einer fast schon verlorenen lebenspraktischen Tradition der Vorfahren. Und sie ehrt die „heiligen Orte“ der Identität von Mensch und Natur - wörtlich am Präfix „Kill“ erkennbar. Die hohe Integrationskraft der gälischen Sprachen ist durch die englischsprachige Einebnung der Begriffe zu bloßen Klangphrasen verkommen: unmerklich für Uneingeweihte. Pádraigín will daher ein Wörterbuch der spirituellen Orte und Namen erarbeiten.

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„Inisheer“ etwa ist nur eine leere lautliche Koordinate, bloß eine Zeichenfolge, die selbst bedeutungslos ist: nicht mehr als die phonetisch nachgeäffte, englischsprachige Verbasterung des alten irischen Namens Inis Oírr. Der jedoch ist lebendig: klanglich und sinnlich. Er geht wortgeschichtlich zurück auf gälisch „Inis Oirthir“, was übersetzbar und zugleich auch zu verorten ist, landschaftlich wie sozial. Denn es bedeutet „Ostinsel“. Ebenso kann der Name auf „Inis Thiar“ zurückverweisen, was das „hintere Eiland“ bezeichnet und ein deutlicher Perspektivwechsel wäre: ein Zweitname sozusagen, ein Blick über die Schulter aus Sicht der größeren westlichen Insel auf die kleinere Schwester. Die Namen markieren in dieser Beziehungslogik eine „Living Landscape“, eine Ost-West-Beziehung, dazwischen Inis Meáin, das mittlere Island. Seine Anglisierung „Inishmaan“ dagegen bedeutet nichts. Der englische Name hat die Relation verloren und die Bedeutungstiefe eingeebnet. Denn eine mittlere Insel verweist selbstverständlich auf Nachbarinseln. Doch von der großen, mittleren und kleinen Insel werden im Englischen nicht einmal mehr ihre Territorien ableitbar. Es sind verlorene Inseln: XL, M und S.

Dieser schleichende Verlust der beziehungsreichen Namen ist für die herrschende Mehrheit mit ihrer allgemeingültigen Sprache unbemerkt vonstatten gegangen. Doch die „Living Landscape“ ist ein Raum kultureller Zugehörigkeit. Ihr Verlust ist ebenso unermesslich wie etwa das Aussterben zahlloser ungekannter Tier- und Pflanzenarten. Unwissenheit kennt die Tragweite dieses elementaren Mangels nicht, vor allem wenn sie ihn duldet oder gar erzeugt. Wer die Namen der Menschen, Tiere und Orte nicht kennt, weiß nicht um die verlorene Existenz, den Wert und die Individualität ihrer Träger und ist daher unfähig, ihren Verlust zu betrauern. Doch das Verschwinden der sozial integrativen Bedeutungen ist Verarmung, Enteignung durch Verdrängung, in einer Sprachwelt, die die Begriffe substituiert und schließlich unter „Living Landscape“ nichts anderes mehr versteht als eine Wohnlandschaft aus Sofas und Sesseln, von sehr geringem Halbzeitwert. Globaliserung und der mediale Jargon der virtuellen Communites tragen zur Aushöhlung dieser einstmals bedeutsameren Sprach-Welt bei.

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Auf Inis Mór, Inish Meáin und Inish Oírr gibt es wie auf den Schwesterinseln und Sprach-Archipelen der gesamten Westküste alljährliche Summer Schools. Sie bereiten besonders die englischsprachig erzogenen Schüler kulturell auf die Prüfungen in Irisch vor. Die Groß-Muttersprache gehört zum Pflichtprogramm der Schulen. Sie ist für die irische Identität und die Emanzipation von englischer Vorherrschaft schier unverzichtbar.

Die letzten verbliebenen Gaeltachten, in denen vorherrschend Irisch gesprochen wird, liegen heute überwiegend im Westen: in den Grafschaften Donegal, einige in Mayo und Galway sowie verbliebene kleinere Enklaven in Kerry und Cork - und auf den vielen entlegenen Inseln im Atlantik: wie Árainn Mhór (engl. Aranmore) oder Toraigh (engl. Tory Island), die zu besuchen wir nur allen Irlandfans empfehlen können.

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