redACtionsbureau Reportage

Uferpromenade: im amphibischen Karstland

Am maritimen Rande des Burren – auf Inis Meáin

29.-30.07. — Inis Mór/Árainn – Inis Meáin

Gegen eins stehen wir auf Inis Meáin, um zwei sind wir auf dem Wege, die Insel zu umrunden. Es wird eine der landschaftlich schönsten Wanderungen dieser langen Reise werden, mit fantastischen Ausblicken an langen klobigen Küstenterrassen, ein Badetag in berauschenden Farben, ein Sehtag angesichts imposanter Gesteinsformationen, ein Sonnenbadetag im strahlenden Glanz des Sommerlichts. Wir laufen im steten Kontrast des wogenden Meeres und dem Azur eines makellosen Sommerhimmels. Ausgangspunkt war Dún Chonchúir (engl. Doonconor), das prächtige Ringfort mitten über der mittleren Insel. Es blickt selbstbewusst zu uns herab und schaut aus seiner exponierten Lage weit hinaus über die See, hinüber auf das Bruderfort Dún Eochla auf Inis Mór.

Dorthin hatten wir es gestern zeitreisetechnisch nicht mehr geschafft. Außerdem stammt es aus nachchristlichen Tagen, so von 500 bis 800 n. Chr., und mag deutlich jünger sein als Dún Chonchúir: eine zeitliche Abweichung, ein zu großer Umweg. So hatten wir uns denn verpasst. Die Bronzezeit ging nun mal vor. Hier auf Inis Meaín ist die Verortung allerdings schwieriger. Hier gab es nämlich bislang noch keine Ausgrabungen am Fort, sodass für seine Erbauung keine exaktere Datierung gegeben werden kann als die vage, lange Epoche der Eisenzeit. Die jedoch umfasst - hier und da, mehr oder weniger - 500 Jahre vor und nach Christus: reicht also von der späten Bronzezeit bis ins frühe Mittelalter. Soviel Zeit hatten wir gestern nicht, aber heute.

Bild

Unsere Wirtin Theresa erklärt uns anhand einer schwach photokopierten Kartenskizze, wo wir bei diesem wundervollen sonnigen Wetter wandern können und wo wir wieder abbiegen müssen, um die Insel auf kürzestem Heimweg zu durchqueren. Wir machen uns auf. Unser Quartier liegt gleich gegenüber dem Ringfort, sein Name: "An Dun". Wir sind hier zufällig noch untergekommen, trotz der angeblich ausgebuchten Insel-B&Bs – aber goldrichtig.

Wir waren die Einzigen, die heute Mittag auf Inis Meáin ausstiegen. Der Bootsmann fragte noch, ob wir wirklich hier raus wollten: als seien wir am Ende der Welt und nicht an einem seiner schönsten Ränder. Rein sicherheitshalber frage er das, nur damit wir nicht falsch landen. Als wir bejahten, war er zufrieden, fragte noch, wann wir wieder zurückfahren wollten – Morgen Mittag! – und holte die Gangway ein – Okay!

Happy Hooker, die kleine Fähre, legte ab und wir standen alleine auf dem kahlen Pier. Weit und breit mutterseelenallein. Mauern und Einfriedungen zeichneten das Land und in der Ferne auf dem zentral gelegenen Hügel blickte das Ringfort auf uns herab. Und nun? Wir gingen die Straße entlang bis zu einer Bushaltestelle mit einer großen Karte, die die Insel zeigte. Gerade waren wir noch dabei sie zu studieren, als ein Taxi-Van neben uns hielt: Ob wir mitfahren wollten? Gerne ergriffen wir die Chance und ließen uns Dún-einwärts fahren. Einen Campingplatz gebe es hier nicht, sagte der Fahrer, aber er könne uns gerne eine Unterkunft vermitteln. Nach einem kurzen Telefonat und einer ebenso kurzen Fahrt wurden wir vor einem B&B abgesetzt: "An Dún". Klang richtig! War richtig. Einzig richtig, wie gesagt, und wieder einmal das erste Haus am Platze, wie wir später feststellten. Wir bekamen einen Tee an der Rezeption während unser Zimmer fertig gemacht wurde.

Bild

Nun sind wir unterwegs, mit Teresas schwer leserlicher Kartenkopie, die in wenigen blassen Strichen die Geografie dieses Eilands skizziert. Isohypsen kennt sie nicht, warum auch, der höchste Punkt - das Fort - misst 56 m über NN, Tendenz: mit steigendem Meeresspiegel fallend. Je weiter wir kommen, um so einsamer und prächtiger werden die weiten schwarzen, grauen und rotbraunen Felsplateaus. Sie senken sich westwärts Lage um Lage ab, neigen sich seewärts, um wieder im Meer zu versinken. Sie bilden das amphibische Karstland des Burren, der unter der Galway Bay abtaucht und sich auf den Inseln wieder aus dem Meer erhebt, in mächtigen schrägen Schichten - Erd-geh-Schichten, wo die Wassergeister aus dem Meer steigen und die Blauen Männer in den Herbststürmen landen, um sich neue Opfer zu suchen. Die Geologie ist dieselbe wie die im Burren selbst: erodierte Kalksteinterrassen, die treppenartig zu höheren Lagen aufsteigen und zuweilen wie spröde, plattierte Fußwege verlaufen. Das Oberflächenwasser versickert jäh in tiefen Kluften, wo es im Verborgenen eine reiche Vegetation gedeihen lässt. Um es nutzen zu können, wird das Regenwasser auch heute noch aufgefangen und über kleine Kaskaden in Becken und Bassins gelenkt.

Hüft- bis schulterhohe Mauern strukturieren das Landschaftsbild der Inseln. Die meisten entstanden wohl in der Neuzeit. Sie umfassten Parzellen und Gärten, die für Weiden und Feldbau genutzt werden konnten. Die karstige Steinwüste wurde über Jahrhunderte von fleißigen Händen urbar gemacht. Angeschwemmter Seetang und Sand wurden auf dem Boden verteilt und Wälle errichtet. Die Mauern verhinderten, dass der gewonnene Boden von Wind und Regen oder Sturm wieder abgetragen wurde. Dem spröden Karstgebiet mangelte es stets an Oberflächenwasser. Längere Trockenheit oder anhaltender Wind verstärkten den Wassermangel, mit deutlichen Folgen für die Vegetation, und nicht zuletzt für Mensch und Tier.

Der Archipel ist seit der Jungsteinzeit besiedelt, seit knapp 5.500 Jahren. Die frühen Siedler der Bronzezeit hatten die hiesige Westküste Irlands offenbar schon 4000 v. Chr. erreicht und dann die Inseln entdeckt. Der Poulnabrone Dolmen im Burren etwa wird auf 3800 v. Chr. datiert. Zu dieser Zeit lag der Meeresspiegel schätzungsweise sechs Meter tiefer als heute. Insofern war die Landmasse der drei Inseln um einiges größer und je nach Gezeiten waren weitere Teile miteinander verbunden oder über seichtere Passagen leichter beschiffbar oder gar zu Fuß erreichbar. Die Landschaft hat sich seit ihrer frühen Besiedlung deutlich verändert. Dem gehen wir gerade nach. Wo einst Hecken, Sträucher und Bäume wuchsen, wo Eichen, Eschen und Erlen gediehen, Haselnuss und Weiden standen beherrscht heute das Karstgebiet das Bild der Insel.

Bild

Auf dem einsamen Boulevard aus Calciumcarbonat und jungem Muschelkalk, zwischen Algen und Tang, flanieren wir über die Uferpromenade am maritimen Rand des Burren. Unser Bummel führt uns über die vielen Etagen einer weitläufigen Passage, vorbei an Gewölben und an prächtigen Fassaden wie etwa drüben im Norden die Steilküste von Inis Mór oder hüben im Südwesten die Cliffs of Moher. Wir studieren neugierig die Auslagen in den Tümpeln und Becken dieses amphibischen Vororts, der sommers nach dem Regelwerk der Gezeiten in seinen Randgebieten trockenfällt und im tosenden atlantischen Spektakel des Winters bis in die höchsten Lagen in furchtbaren Wellenbergen untergeht, zuweilen überirdisch im Wechsel von Ebbe und Flut, dann wieder versunken in Wellen und Wogen, ein Übergangsort der Elemente, im Kommen und Gehen zwischen Wasser und Land.

Bild

Wir umwandern fast die gesamte Insel, wollen immer weiter und weiter, fotografieren stehend, kniend, bäuchlings liegend an Emporen, Überhängen und Abgründen, als ließe sich dieser Ort festhalten, einfangen und mitnehmen. An einer Stelle können wir uns abseilen und eine Etage tiefer ins Souterrain gelangen, um die Klippen von oben und unten zu betrachten. Wunderschön. Wir wandern weiter und weiter. Ein Platz scheint faszinierender als der andere. Wir sind sehr beeindruckt von dieser kargen Schönheit. Nach fünf Stunden sind wir fast rund und treffen am Ortseingang auf die einzige Kneipe der Insel, wo wir uns ein kühles rotes Smithwicks gönnen, ehe wir wieder in unserem B&B eintreffen.

Bild

Schnell noch eine Dusche genommen, ehe wir das Abendessen bei Sonnenuntergang genießen. Kann es schöner sein? Selbst gemachtes Brot, eine kalte Rote-Beete-Suppe mit Kräutern aus dem Gewächshaus. Möhren und weichkochende irische Kartoffeln sind die Beilagen für alle Gerichte. Wir wählen den frischen Fisch statt Fleisch. Die Küche ist exzellent, so klein die Speisekarte auch ist. Teresa hatte hier – An Dún – zuerst ein kleines Restaurant eröffnet. Mit Menüs aus lokalem Anbau, mit maritimen und vegetarischen Gerichten. Sie ist sich über Nachhaltigkeit, Nährwerte und naturnahe Erzeugung sehr im Klaren und auch über Kalorien, saure und basische Inhaltsstoffe genau im Bilde. Später kam zum Restaurant das kleine Gasthaus mit B&B. Heute zählt es zu den ersten Adressen.

Ein später Besuch des Pub am Abend rundet unseren Tag ab. Im Mondenschein schlendern wir zurück. Teresa hatte noch erzählt, ein amerikanisches Journalistenduo sei vor einem Jahr hier aufgeschlagen und entsetzt schnellstens wieder von dannen gezogen. "Wir wünschten, niemals hierhin gekommen zu sein", war das geistreiche Resümee ihre Magazinbeitrags: Sie vermissten jede, aber auch jede Gelegenheit für Shopping und Wellness. So ist das mit dem american Way of Life. Ihnen fehlten Bars, Restaurants und Pubs, ja jede Infrastruktur. Die Uferpromenade am Meer haben sie nicht gesehen. Das ist gut so und erspart viele Enttäuschungen. Nachher kommen noch mehr von der Sorte.

  • Bildergalerie
  • Bilder: 110