redACtionsbureau Reportage

Rathlin Island – im Kingdom of the Isles

Durchs Meer getrennt, und doch so nah

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Die schönste Aussicht auf die Antrim Coast haben die Robben von Rathlin Island. Wahrscheinlich deshalb bleiben sie so lange gelassen im Wasser liegen und schauen mit gereckten Hälsen gebannt hinüber auf die hohen Basaltfelsen Nordirlands. Auf den vorgelagerten Felsen stehen Kormorane mit gespreiztem Gefieder in der blassen Sonne, wie gekreuzigte Wappenvögel, über denen aufgelassene Möwen eine weite Runde segeln.

Weniger geruhsam geht es auf den Vogelfelsen am Great Lighthouse auf den Klippen im Westen zu. Tausende und Abertausende von Seevögeln brüten hier. Die Eminenzen sind die Basstölpel und Guillemots, die absoluten Stars sind die clownköpfigen Puffins. Die komischen Vögel bewegen ganze Busladungen von Fans zum westlichen Leuchtturm, wo heute die Vogelwarte der RSBP, der Royal Society for the Protection of Birds, untergebracht ist.

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Hier tut Noreen Oswald Dienst. Die charmante Nordirin liebt die Natur, die urtümliche Landschaft ihrer Heimat und den launischen Atlantik. Die begeisterte Seglerin ist für diesen Sommer von Ballycastle auf die Insel gezogen und zeigt den Touristen die Brutkolonien. Noreen sieht ihren Auftrag in einem größer gedachten naturkundlichen Kontext: „Es ist einfach wichtig, dass wir den Menschen wieder einen Bezug zur Natur geben, besonders den Kindern aus den Städten. Viele kennen die elementaren vitalen Zusammenhänge gar nicht mehr und sind begeistert, wenn sie die Vögel und die Nester sehen. Nur wenn jeder Einzelne versteht und lernt, behutsam mit unserer Umwelt umzugehen, können wir gemeinsam diese wunderbare Welt erhalten“. Die Zahl der Puffins sinkt weltweit dramatisch. Die Pärchen sind monogam und belegen alljährlich dieselben Höhlen in den Graskuppeln der Vogelfelsen. Auf Rathlin Island sind es inzwischen nur noch 500 statt der letztmals gezählten 600 Tiere. Der Bestand gilt dennoch als vergleichsweise tröstlich.

Wer hier oben auf der westlichen Leuchtturmklippe aussteigt und hinauf wandert auf die Steilküste, wird an sonnigen Tagen wie diesen die schottischen Whiskey-Inseln Islay und Jura sehen und entlang des greifbar nahen Horizonts die schottische Küstenlinie. Hier oben wird wie nirgends sonst deutlich, wie nahe diese Küsten beieinander liegen und wie eng ihre Menschen über den North Channel verbunden sind, am Eingang zur Irischen und zur Hebridischen See. Verwandt seit Generationen, vielleicht seit Urzeiten, in Familien, die sich diesseits und jenseits des Meeres niederließen.

Einstmals waren die schottischen Inseln und Küsten von den Orkney und Shetland Islands über die Inneren und Äußeren Hebriden bis nach Rathlin Island geeint im Kingdom of the Isles. Es war von den Wikingern im 10. Jahrhundert begründet und von Manx, der Isle of Man, aus regiert worden. Später übernahmen es die Mac Donalds und beherrschten es von Skye aus bis in 15. Jahrhundert, als der König dem Parallel-Empire des Clans ein Ende bereitete.

Das erste Schnellboot hatte uns hinüber gebracht nach Rathlin Island, an einem diesigen, dunstigen und regenverhangenen Morgen. Hinüber in das Grau des Meeres, auf die im Nebel kaum noch zu erkennende Insel.

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Bert's Puffin Bus sammelt die Touristen am Hafen ein und kutschiert sie hinauf zur Vogelwarte. Dann wird es wieder still in Churchbay. Es nieselt, wir stellen die Rucksäcke im gläsernen Wartehäuschen ab und warten an der „Bus-n'-Boat“-Haltestelle auf die gestern Abend von BBC versprochenen Aufklarungen. Ein erster Rundgang wird lange aufgeschoben. Es will nicht aufhören zu nieseln.

Das Harbour Cafe hat montags geschlossen. Der Reisende wird oftmals feststellen, dass just mit seinem Eintreffen nicht gilt oder außer Kraft gesetzt ist, was an anderen Tagen zu genau dieser Uhrzeit gilt, nur heute, ausgerechnet heute nicht. Es nieselt weiter, wir entschließen uns aufzubrechen und nach einem Zeltplatz zu fragen.

Barfood, eine Tagessuppe und Tee gibt es McCuaig's Bar, ein ausgiebiges köstliches Diner wird à la Carte abends im angegliederten McCuaig's Restaurant serviert. Den Tisch sollte man vorbestellen, betont die Bedienung. Quartier nimmt man in den B&Bs von Churchbay. Oder besser noch am kleinen Küstenstreifen östlich des kleinen Ortes, der sich im Knick der L-förmigen Insel mit Hafen, Kirche, Pub und Häusern an den schönen Sandstrand schmiegt. In seinem Rücken steigen die schmalen Straßen die Hügel hinan zu den drei Leuchttürmen in alle vier Winde und hinauf auf die Klippen ringsumher.

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Der grasbewachsene Küstenstreifen über den Kiesbetten der Buchten liegt ein wenig abseits der Häuser von Churchbay. Im Wasser dümpeln die Robben, die gemächlich ihre Bahnen ziehen, neugierig den Kopf aus dem Wasser recken oder gelangweilt auf den tangbehangenen Schären liegen, zeitvergessen und versonnen. Möwen streiten schreiend um eine Krabbe, Austernfischer stieben hektisch über die flache See.

Um zehn mit Sonnenuntergang ins Zelt, um zwei erstes Erwachen. Die klare Nacht wird gelegentlich von Vogelgeschrei durchbrochen, wenngleich am Nachthimmel keine Vögel zu sehen sind. Eine Ente quakt anhaltend in den Schären. Ebbe hat die Küste freigelegt. Auf den ufernahen Felsen haben sich die Robben ausgerollt. Ihr lautes Grunzen dringt durch die Stille, Schnaufen und Röcheln verraten die dickhäutige Kolonie, gelegentlich klangendes Heulen, dann dumpfe Schläge, die wie flinkes heftiges Schulterklopfen klingen, klatschend und flatternd.

Die Nacht ist mondlos und doch hell. Der Himmel fast klar. Nur einige dünne Wolkenfetzen ziehen schlierenhaft über den Sternenhimmel. Die hellsten Repräsentanten und Sternbilder sind zu erkennen. Ursus Major, der Große Wagen, weist auf Polaris, den funkelnden Polarstern, den Nordstern. Nebenlicht und der nordische Sommernachtshimmel verstellen jedoch den Blick auf die Milchstraße.

Auf der Küste Nordirlands liegen orangegelbe Lichterzonen, der unpolitische nächtliche Glanz von Ballintoy, wie eine braun phosphoreszierende Haube. Weit westlich leuchtet breiter noch das Lichterband von Ballycastle. Es wird noch im schottischen Campbeltown sichtbar, auf Kintyre, wo die Lichter der Antrim Coast aus der Ferne herüberfunkeln.

Ein Leuchtturm gibt sich zu erkennen: weiß — 6 kurz — eins lang — 8 Pause. Sein Sechzehnerrythmus projizierte die Taktung auf die Seekarten der Schifffahrt. Farben und Zeitmuster, die den Raum exakt strukturieren, nach denen heutige Navigatoren ihre Kurse abstecken. Die Wikinger folgten den Sternen und dem Geruch von Land und Meer, die frühen Bronzezeitsiedler den Gestirnen und der Küstenlinie.

Dem geschäftigen Küstenleuchtturm antworten die Leuchtfeuer der Insel aus allen drei Ecken, hinweg über die ruhig wogende See. Ihre Lichtkegel huschen über die Steilküste und Steinstrände, wo die Robben von Rathlin Island schon auf den Sonnenaufgang warten. Im Norden sind bereits die ersten Schimmer zu sehen. Im Mittsommer reichen die weißen Nächte der polarnahen Zonen hinab bis nach Irland, im Winter die Polarlichter. Diese Region vereint die Schönheiten des Nordens und des Westens. Sie folgt dem Rhythmus des Meeres, das die Menschen viel eher eint, als dass es sie trennt, und sie diesseits und jenseits des North Channel seit Jahrtausenden verbindet.

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