redACtionsbureau Reportage

Walisische Adria: Returnticket nach Portmeirion

Der freundlichste Schaffner von Wales fährt auf der Strecke Aberystwyth – Pulheli

8. Juli 2015 — Fairbourne – Minffordd – Portmeirion

Wir waren in Fairbourne gelandet, nachdem wir die heftigen morgendlichen Schauer auf dem Strandparkplatz von Tywyn abgewettert hatten. An Schwimmen war nicht zu denken. Schwere See, stürmische Böen, die an unserem Reisemobil rüttelten, und starker Regen waren wenig einladend. Wir machten Frühstück und Hausaufgaben.

Gegen Mittag lockerte die Bewölkung auf. Erste Sonnenstrahlen in den Wolkenlücken hießen Abfahren und Weitertingeln. In Fairbourne lud uns die Miniatur-Schmalspurbahn zu einem Foto-Stopp. Sollten wir ein Ticket lösen und mit dem Liliputanerbähnchen an die Strände der Nehrung fahren, auf Gulliver's Reisen zur Barmouth Bay? Man kann übersetzen im offenen, kleinen Boot. Bei dem jetzigen Seegang kein ungetrübtes Vergnügen, zumal wenn Mitreisende nicht seefest sind. Nein, am kosmopolitischen Schnittpunkt von Fairbourne gibt es Alternativen, gleich gegenüber dem historischen Eisenbahnmuseum und dem Miniaturbahnhof liegt ein echter Haltepunkt der Welsh Railway. Und so lernten wir Paul, den nettesten Schaffner dieser bedeutenden Bahnlinie kennen, von seiner allerbesten Seite.

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Wir hatten das Retourticket für zwei zu £5,60 nach Barmouth schon in Händen, als wir fragten, ob dieser Zug denn nach Portmeirion weiterfahre. Oh ja, war die Antwort, und das sei nun wirklich ein sehr empfehlenswertes Ausflugsziel, lachte der freundliche Conductor. Ob wir denn mit unserer Fahrkarte weiterfahren und ein Anschlussticket haben könnten? Gar kein Problem, aber das komme ein wenig teurer. Er stelle uns gerne ein neues aus. Wir nahmen dankend an, zahlten £8,20 drauf – ob das okay sei? – wagten nicht zu widersprechen: „Ganz im Gegenteil, wunderbar.“ Wir hatten unverhofft den schnellsten Weg zu einem großen walisischen Highlight gefunden: die Welsh Railway von Fairbourne nach Portmeirion. Am Bahnsteig verabschiedet uns Paul mit Handschlag, nicht ohne uns genauestens den Fußweg zu beschreiben. Solange muss der Zug halt warten.

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Der walisische Architekt Clough Williams-Ellis kaufte 1925 Portmeirion, eine vorgelagerte Halbinsel am Traeth Bach Mündungsdelta, um einem städtebaulichen Traum Gestalt zu geben: einer weitläufigen Hotelanlage im Stile einer mediterran anmutenden Kleinstadt. Inspiriert von eigenen Reisen adaptierte Williams-Ellis Baustile und Elemente aus ländlichen Idyllen und historischen Vorlagen. Formen, Farben und Fassaden huldigen vorwiegend italienischen und klassizistischen Elementen. So entstand ein toskanisches Hobbington, dessen farbenfrohe potemkinische Kulisse dem Manierismus der Disney-World zur Ehre gereichen würde. Die Zimmer und Appartements, Restaurants und Cafés sind in historischen und historistischen Gebäuden untergebracht, in nachempfundenen Landhäusern und Villen, überragt von einem schlanken Campanile, dessen Glocken zu jeder Viertelstunde die Zeit schlagen. Wunderschön sind die alten Bäume, die üppigen Sträucher und die liebevoll gepflegten Blumenbeete der Anlage. Das gesamte Areal umfasst 70 acres.

Die Bauzeit dieses fantastischen, architektonisch durchgeknallten und landschaftsbaulich hoch ambitionierten Zuckerguss-Projekts währte 50 Jahre. Eine Traumwelt, deren Gebäude europäisch inspiriert sind. Das Doppelzimmer samt abendlichem Dinner und morgendlichem Frühstück kostet £130 pro Nacht.

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