redACtionsbureau Reportage
redACtionsbureau Heinz Bück

Zu Lehen seit 1562: Feudale Verhältnisse auf Sark

Erlebnisse auf Familien- und Kronbesitz

Linda Adams hat sich ihr Lachen bewahrt, mit Vorsatz, wie sie sagt. Sie und ihr Mann Daniel führen auf die alten Tage die Vallete Campsite auf Sark, 01481 / 832066. Der rustikale Campingplatz ist rudimentär ausgestattet mit einem reinlich geputzten alten Waschhaus hinter dem steinernen alten Wohnhaus und zwei Vollplastik Toilettenhäuschen daneben, unisex. Hoch gelegen, noch über dem Leuchtturm von Sark, prunkt das weitläufige Wiesengelände weniger mit luxuriösen Ausstattungsmerkmalen als vielmehr mit einer fantastischen Aussicht auf die Nachbarinsel Alderney, auf die Normandie am Horizont und auf die zwischengelagerte Schärenküste der kontinentalen, so bretonisch anmutenden Kanalküste.

Die vom Wasser unterbrochenen Linien der Inseln und Schären verraten, dass dies einst ein zusammenhängendes Hochland war. Es verband den Kontinent mit den britischen Inseln. Nach der letzten Eiszeit, vor gut 8000 Jahren, ist es mit steigendem Meeresspiegel versunken und untergegangen. Der Kanal entstand, trennte das heutige Irland und Großbritannien ab und verhalf England zur Tradition der Splendid Isolation. Der kommende Meeresanstieg infolge der menschengemachten modernen Warmzeit wird auch die Kanalinseln holen und hinabziehen ins Gewesene und Vergessene.

Hier begegnen sich Vergangenheit und Gegenwart, prallen Moderne und Historie zuweilen aufeinander und versöhnen sich zu einer Idylle auf Zeit.

Sark ist ein wahrhaft feudaler Ort, um ein Zelt aufzuschlagen, stille Ferientage zu verleben und vielleicht sogar ein spektakuläres Nachtleben. Denn die mond- und wolkenlosen Nächte sind berühmt. Sark rühmt sich das erste „Dark Sky Island“ zu sein. Und sollte wie bei unserer Anwesenheit dort der helle volle Mond scheinen, so bleibt einem der nächtlich leuchtende Sark Sky im Farbenglanz der untergegangenen Sonne, im breiten Spektrum von Tiefblau, Türkis, Grüngelb und dem leuchten Orange am nördlichen Horizont.

Linda ist eine freundliche und agile Frau und überraschende 77 Jahre alt. Sie möchte hier auf ihrem Hof alt werden und ein aktives Leben führen möchte. Sie hat ihre betagte Mutter im Alter von 92 Jahren 2010 (geb 1918) begraben. Insofern rechnet sie noch mit ein paar Jährchen. An Ruhestand oder gar an Verkauf denkt sie jedenfalls nicht. Nein, sie will, dass der Besitz in die nächste Generation übergeht an ihren Sohn, so wie es Tradition ist. Seit 1562 ist das Land im Besitz der Familie: mehr als 450 Jahre und ungeteilt, wie sie mehrfach betont. Anderswo hat die Erbfolge die Parzellen zerstückelt.

Ihr Vater war der Senneschal von Sark und bekleidete damit ein höfisches Amt aus feudalen Zeiten, eines der höchsten sogar, das sich wie andere Strukturen mittelalterlicher Lehensherrschaft bis ins 21. Jahrhundert auf Sark erhalten hat. Erst 2006 votierte die Bevölkerung der Insel, die heute dem State of Guernsey angehört, für die Einführung einer parlamentarischen Selbstverwaltung. Die Kanalinseln gehören nämlich unverändert als Kronbesitz Ihrer Majestät, der Königin von England und Großbritannien und Herzogin der Normandie. Deren namensgleiche, streitbarere Amtsvorgängerin Elisabeth I hatte im damaligen Bürgerkrieg 40 Kolonisten ausgesandt, um Sark zu besiedeln und urbar zu machen. Seitdem ist das Land im Besitz von Lindas Familie, wie gesagt: ungeteilt und ungeschmälert von Generation zu Generation weitergegeben.

Ihre Mutter habe die Inseln so gut wie nie verlassen, sei dennoch gebildet und weltoffen interessiert gewesen, so Linda und zeigt uns mit liebevollem Respekt einen alten Zeitungsausschnitt, der gerahmt hinter Glas in der kleinen Küche an der Wand hängt. Nur als ihr Vater in Ruhestand ging und von seiner Königin die lang erdiente Auszeichnung für seine Treue bekam, war ihre Mutter zum ersten und einzigen Mal in London, jawohl, zum Empfang bei Ihrer Majestät und zu einem kleinen Besuch der großen Hauptstadt. Das Technische Museum hat sie sehen wollen, von dem sie wusste, dass es die kleinste Uhr der Welt beherbergt und die Kirche am Tower, die sie vorfand, wie man ihr zu Schulzeiten berichtet hatte, mit einem Bildnis, auf dem Guernsey und Jersey zu sehen sind. Sie fand beides bestätigt und fuhr zufrieden nach Hause.

Linda Adams ist zuweilen unglücklich über den Hedonismus, die Manieren und den ignoranten Lebensstil ihrer Gäste, die laut daherkommen und verschwenderisch mit Strom und Wasser umgehen, die ihren Abfall liegen lassen und selbst Lebensmittel, volle oder kurz angetrunkene Flaschen Cola und Limo in den Müll werfen. Doch der wird hier verbrannt, sodass Linda und Daniel den ganzen Dreck zuweilen umsortieren müssen. Dagegen finde die lokale Müllverbrennung bei einigen Touristen großspurige und naserümpfende Missbilligung, erzählt Linda. Dabei haben die keine Idee davon, wie eine Insel mit dem ganzen touristischen Müll umgehen muss und auch nicht, wo denn zuhause der eigene Müll verbrannt wird. Sie sind oft so verschwenderisch und sie wollen nicht zuhören, sagt Linda. Auch nicht, wenn sie bittet, das Licht auszumachen, den Müll zu trennen oder aufzuräumen.

Sark ist autofrei. Ja! Autos wollen sie hier nicht. Auf keinen Fall! Es gibt einige lizenzierte Traktoren, die auch die Touristen und ihr Gepäck die Klippe herauf fahren, denn laufen wollen viele der Städter nicht mehr gerne, weder Hände noch Arme gebrauchen wollen sie und offenbar auch nicht immer das Hirn. So nehmen viele die Kutschen und lassen sich spazieren fahren, mieten ein Fahrrad und nehmen alsbald das nächste Boot wieder zurück. Doch die, die bleiben, die wiederkehren, die Jahr um Jahr zurückkommen, wissen die Schönheit zu schätzen, die fantastischen Buchten, die man erwandern kann, Strände unter turmhohen Klippen, wo man allein schwimmen und sonnenbaden kann, Küstenpfade, die einem grandiose Aussichten bescheren auf die wandelbare Geologie gewesener Zeiten. Und selbst auf der baumbeschatteten Avenue, der Hauptstaße der Siedlung, die sommers mit Shops, Teestuben und Restaurants aufwartet, kehrt abends nach fünf allmählich wieder Ruhe ein, wenn das Sechsuhrboot die letzten Tagesgäste mitgenommen hat.

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