Offshore in der Anderswelt

Aran Islands – Die drei schönen Töchter des Burren


VON HEINZ BÜCK

Jäh schlägt das Alarmsystem des Körpers an. Adrenalin schießt in die Blutbahn und beschleunigt den Puls. Merklich beginnt das Herz zu pochen. Mit jedem weiteren Schritt, jedem noch so vorsichtigen Schritt voran, hin zur nahen Steilklippe sendet das Hirn immer eindringlichere Warnsignale: „Bitte, nicht!“ Gebannt fällt der Blick über die mörderische Kante. Die tiefstehende Sonne hat das brodelnde Meer in wogendes gleißendes Quecksilber verwandelt.

Auffrischender Wind treibt die mächtigen Wolken über die Galway Bay. Er scheint heftiger zu werden, je näher du dem Abgrund kommst, als wollte er dich zurückschieben. Ein zweifelhafter Widerstand. Alles in dir mahnt dich eindringlich, nicht noch näher heranzutreten. Nur einen kleinen Schritt noch voran: Adrenalin pur. Kaum einen Meter noch, dann stürzt das Kliff 300 Fuß hinab in die schäumende See. Das sind 100 schreckliche Meter, die hier oben – ungesichert im trügerisch unsteten Wind – selbst bei Schwindelfreiheit kaum zu ertragen sind. Der letzte Meter ist schier unüberwindlich: „Bitte, nicht!“

Wir waren am letzten Ziel unserer Reise, standen im Klippenfort am Rande der Anderswelt, am Tor zum Einst und Immer. Pádraigín Clancy hatte uns gewarnt: „Dún Aonghasa ist ein magischer Ort.“

Cast a cold Eye. On Life. On Death. Horseman pass by.

Vom hügeligen Donegal waren wir bei Regen und Wind über Sligo gekommen, hatten am Fuß von Ben Bulben – am Grab des großen Dichters – noch William Butler Yeats´ gedacht und spätnachmittags die aufklarende Galway Bay erreicht. Auf dem Weg nach Doolin, ins zerklüftete County Clare, führt die Küstenstraße durch den schrundigen Burren, ein groteskes Karstgebiet, das heute als irischer Nationalpark unter besonderem Schutz steht – unter Mondlandschaftsschutz: The Burren and Cliffs of Moher UNESCO Global Geopark.

Blasser, hellgrauer Kalkstein ergießt sich über die Hügel, grau wie der Himmel über der weiten Bucht. In zerfurchten Terrassen aus spröden Blöcken breitet sich ein zermartertes Hügelland aus, gehobelt von den Gletschern der Eiszeit und poliert vom ewigen Meer, von Erosion zerfressen in Wind und Regen. Selbst der blutrünstige Edmund Ludlow, ein General des grausamen Cromwell, hatte sich schaudernd abgewandt: „Kein Baum, um einen Mann zu hängen, kein Tümpel, um ihn zu ersäufen, und keine Erde, ihn zu verscharren.“ Er hätte genauer hinsehen sollen. Denn dem kalten Herzen des Plünderers blieben die wahren Schätze dieses rauen westirischen Landstrichs verborgen. In den Schrunden und Wunden, in den Rissen und Kluften der erstarrten Gesteinslagen blüht es lichterbunt, ein farbenfroher Mikrokosmos im spärlichen Grün, voll unerwarteter Lebendigkeit, wo im Verborgenen das kleine Volk wohnt und die Erdgeister hausen.

Dieses wundersame Karstplateau versinkt vor den Cliffs of Moher in der Galway Bay, um weit draußen wieder forsch aus dem Meer zu steigen, als kleine Inseln von herber Schönheit: Inis Oírr, Inis Meáin und Inis Mór, die schönen Töchter des Burren. Der Archipel der Aran Islands – oder Oileáin Árainn, wie die Iren sagen – ist seit uralter Zeit besiedelt, seit der Steinzeit vor 5.500 Jahren. Schon ihre bizarre Geologie macht sie zu einem Ehrfurcht gebietenden Weltenort, einer Anderswelt aus Kalkgestein. Ebenso eindrucksvoll sind ihre sieben steinernen Ringforts: geheimnisvolle Relikte aus den archaischen Zeiten der frühen bronzezeitlichen Siedler, voller Magie und keltischem Zauber, aus jenem spröden Stein erbaut. Ihr berühmtestes ist Dún Aonghasa. Dort wollten wir hin, nach Inis Mór. Und so standen wir im Morgenregen am Pier von Doolin.

Nach den vergangenen stürmischen Tagen war der Andrang am Hafen riesengroß. Die Container der konkurrierenden Fährbüros waren seit halb zehn von Menschen umlagert. Fahrkartenverkäufer riefen Touren und Abfahrtszeiten aus wie Marktschreier auf Basaren. Gleich mehrere Fährgesellschaften buhlten am Pier um die Gunst der Passagiere. Viele hatten vorbestellt, etliche über Hotels und Veranstalter. Nur wir leider nicht. Und daher kamen wir auch nicht mit nach Inis Mór, jedenfalls nicht auf direktem Wege und nicht an diesem Morgen.

In Irland kommt oftmals alles anders, anders als erhofft und meistens besser als befürchtet. Es gab einen anderen Vorschlag für uns, überzeugend anders. Joan Reilly bei Doolin2Aran Ferries kannte ihren Fahrplan: „Wenn wir denn Zeit hätten, mindestens drei Tage Zeit, dann sollten wir erst zur kleinen Insel Inis Oírr. Irgendwo in einem B&B übernachten oder campen. Ein Zelt hätten wir ja dabei. Dann zur mittleren Insel Inis Meáin und später zum krönenden Abschluss von dort zur großen Inis Mór und zum magischen Fort von Dun Angus. Dreimal übersetzen und nonstop zurück. Ein Übersetzungsprogramm nach Insider-Art, eine Dreiinseltour. Wir nahmen ohne zu zögern an. Also gut, dann erst Inis Oírr, danach Inis Meáin, zum Schluss Inis Mór:

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    Inis Oírr, die Kleine

    Wir starteten bei kabbeliger See und Sonnenschein und kamen nach einer guten halben Stunde auf der „Queen of Aran“ an. Inis Oírr, das östlichste und kleinste Eiland der Aran Islands, liegt kaum fünf Meilen vor der Felsenküste der Grafschaft Clare, grau und wüst wie der Burren. Gegenüber dem Fahrradverleih am Hafen warteten Kutschen und abgewrackte Autos auf die Gäste. Eigentlich wollten wir ja zu Fuß laufen. Aber nun beschwor uns einer der Fahrer, uns seine Insel zeigen zu dürfen, und lud uns ein zu einer Rundfahrt: „Zu einem wirklich guten Preis“. Nun ja, die Inseln leben vom Tourismus und die Touristen sind nun einmal wir. So landeten wir widerstandslos in Davids altem, klapprigen Auto. mehr...

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    Wir waren die Einzigen, die auf Inis Meáin ausstiegen. Der Bootsmann fragte noch, ob wir wirklich hier raus wollten: als seien wir am Ende der Welt und nicht an einem seiner schönsten Ränder. Rein sicherheitshalber frage er das, nur damit wir nicht falsch landen. Als wir bejahten, war er zufrieden, wollte noch wissen, wann und wohin wir weiterfahren wollten – „Morgen Mittag, nach Inis Mór“ – holte die Gangway ein – „Okay!“ – und winkte. mehr...

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    Wir standen schon lange am Hafen, als irgendwann gegen Mittag die kleine Fähre einlief. Der Bootsmann grüßte: „...ihr hattet das beste Wetter der letzten drei Wochen!“ Also dann, auf nach Inis Mór, zur Hauptinsel! Nach „Árainn“, wie sie im Gälischen heißt. Sie ist die größte und mächtigste. Sie gab den Schwestern ihren Namen, den Familiennamen: Oileáin Árainn. mehr...