The Celtic Times 6/15: Irlands Südwesten

The Celtic Times 6/15: Irlands Südwesten

Redactionsbureau - Werkstattbericht

Verehrte Mitreisende, liebe Freunde des redACtionsbureaus,

wir sind raus und durch. Raus aus Irland und durch Frankreich zurück. Aber noch lange nicht raus aus dieser Geschichte. "The Celtic Ways" bleibt unser Thema. Das letzte Kapitel dieser Sommerreportage schloss in Blarney. Wir kamen eine Woche zuvor um die Mittagszeit von den Aran Islands zum Pier von Doolin zurück, hatten noch 300 km Landsträßchen vor uns und sind sogleich raus aus dem Boot, rein ins Auto und ab zum Mannix Point. Er ist der musikalischste Campingplatz Irlands. Während des Cahersiveen Festivals wippt, fiddelt und wibbelt hier am ersten Wochenende im August der versammelte Clan der Irish Folks aus aller Herren Länder: aus Kerry und Cork, aus Yorkshire und Argyl & Bute, aus Immekeppel und Herzogenrath. Cahersiveen ist ihr Music-Mekka.

Wir sind von dort aus raus auf´s Meer, halb seekrank durch Wogen und Wellen, nach Skellig Michael, durch Wind und Wetter, dann 620 Stufen hoch hinauf in die entlegenste Einsiedelei der Welt, in dieses Celtic Meteora Kloster, das mitten im Atlantik am äußersten Rande Europas liegt, umgeben von Papageitauchern und Basstölpeln. Dann sind wir raus auf den Ring of Kerry zu Daniel O´Connell, dem Liberator, und mit einer exzellenten Führung des Office of Public Work ein bisschen durch die politische Gegenwartsgeschichte Irlands gestreift.

Schließlich sind wir durch Glencar, mitten durch die McGillycuddy Reeks nach Blarney, an den Ein- und Ausstieg des Wild Atlantik Way, je nachdem wie man das sieht. Dort auf dem Castle küssen Touristen den Stein der Weisen, werden dabei fotografiert und danach mit Beredsamkeit bestraft. Schon nach zehn Minuten kann man sein Foto an der Bude am Eingang erwerben. Ein unverschämt hoher Preis wertet es deutlich auf. Davon erzählen die Leute dann und von vielem anderen mehr:

 Hier ist die letzte Irland-Etappe

Pádraigín Clancy hat sich immer für keltische Mythologie und Archäologie interessiert. Schon ihre Mutter war Historikerin. Durch ihre Forschungen auf den Aran Islands entschied sich Pádraigín, von Dublin in die Stille der Inseln zu ziehen, um selbst hier zu leben und ihrer Wissenschaft nachzugehen. Einst waren die "Oileáin Árainn" bekannt als die Inseln der Heiligen und Gelehrten. Das sieht man der asketischen Landschaft auch an. Ein Rückzugsgebiet scheint der Inselarchipel bis heute zu sein. Pádraigín hat Geschichte und Folklore studiert und in Radio- und TV-Sendungen ihr Thema "Keltische Spiritualität" populär gemacht. Sie ist eine Gelehrte. Heute arbeitet sie im Visitor Center von Dún Aonghasa. Der Rundgang mit ihr durch dessen kleine Ausstellung wurde deshalb nicht nur eine erstklassige Einführung in die Entstehung des Forts am Rande der Anderwelt. Bald waren wir in einer spannenden Diskussion über archaischen Jenseitsglauben, keltische Mythologie und die irische Sprache versunken. Gälisch wird auf den Archipelen und Inseln der Westküste noch "gelebt". Es hat sich offshore, geschützt in der Abgeschiedenheit dieser Inseln, auf den Aran Islands leichter vor den Übergriffen der Besatzer und den Einflüssen der englischen Herrschaftssprache bewahren können: wie die bodennahen Pflanzen in den Kluften ihres karstigen erodierten Bodens. Danke, Pádraigín, für soviel Inspiration!

 Im Spracharchipel: Gaeltacht offshore

Mortimer ist Engländer, in seinem Vorleben war er Lehrer. Das ist beides nicht weiter schlimm. In seinem Zweitleben übernahm er den Campingplatz an der Bucht von Cahersiveen und machte ein saisonales Musikermekka daraus, zusammen mit seinem Kumpel Pat. Das ist echt toll. Mannix Point ist heute ein sehr origineller, bodenständiger Treffpunkt der Irish Folks, die hier Jahr für Jahr ihre Zelte aufschlagen. Besonders zum Cahersiveen Festival am Bankholiday im August ist der Platz restlos ausgebucht und übervölkert von den Fans aus aller Herren Länder, solchen, die begeistert mit musizieren oder tanzen, und solchen, die begeistert zuhören: sei es in den Pubs der Stadt oder gleich im proppenvollen Kaminzimmer bei Mortimer. Dort nämlich treffen sich viele der Gäste Abend für Abend zu ihren Gesangsrunden, beseelt vom gemeinsamen Musizieren. Hier treten sie selbst auf: semi-, anderthalb- und vollprofessionelle Musiker, Dilettanten, Allerweltskünstler und begnadete Amateure. Denn hier ist die Basisstation ihrer fidelen Leidenschaft und ihre gemeinsame Sprache ist Musik. Zum Abschied schenkte uns Mortimer eine CD: Irish Folk. Danke, Mortimer!

 Bei den Irish Folks in Mortimers Kaminzimmer

Das Statement war deutlich: "Wenn du die Chance hast und das Boot geht, nutze sie! Egal, wie das Wetter ist!", hatte uns Jonathan, der Ornithologe auf Tory Island, gemahnt. "Skellig Michael ist fantastisch!" Das Wetter war wirklich nicht gut, windig, grau und verhangen der Himmel. Aber es blieb zumindest trocken. Der Sturm war abgeebbt und der verweilende böige Wind ließ während des kühlen Morgens allmählich nach. So saßen wir denn in einem schaukelnden, halboffenen Boot, den mächtigen Wogen ausgesetzt wie einst die irischen Gottesmänner, wenngleich dick verpackt in steifes Ölzeug und vorangeschoben von PS-starken Motoren, die uns durch die wogenden Wellenberge hinüberpflügten zur Insel der Frommen und Gottesfürchtigen. 620 bußfertige Stufen wollten wir hinauf zum mittelalterlichen Kloster, hoch oben auf dem Nebengipfel eines Berges, der 12 Kilometer vor der Küste der Grafschaft Kerry 180 Meter aus dem Meer steigt. Der böende, seeseitige Wind forderte ein hohes Maß an Konzentration auf der endlos gewundenen, steilen Treppe. Es gibt keinen Halt, kein Geländer, kein Seil, und der Blick hinab in die Tiefe führt über die endlose Karawane der Kletterer bis in die schäumende See. Wir nahmen Brigitt dann doch lieber in unsere Mitte. Die schottische Fotografin war mit uns zusammen im Boot herübergekommen. Doch sie war alsbald schon völlig außer Atem und fast im Begriff wieder umzukehren. Sie ringt mit Gewichtsproblemen und Beklemmungen, kommt aus der Puste und sorgt sich schon nach 231 Stufen, es nicht zu schaffen oder zu spät zum Boot zurückzukommen. Wir nehmen ihr den Rucksack und die Angst: "Es wird warten, Brigitt! Bis wir wieder ruhig und sicher unten sind!" Doch wir mussten begreifen: zwei Stunden können hier gefährlich kurz sein.

 Auf Skellig Michael: dem Himmel so nah

Gottesglaube kann Meere überwinden und Freiheitsliebe Berge versetzen. Mehr als 230 Jahre nach der verloren Schlacht von Boyne war Irland unter britischer Fremdherrschaft, bis die Republikaner im 19. Jahrhundert vehement die Unabhängigkeit zurückforderten und sie 1922 auch durchsetzten. Einer der großen Wegbereiter war Daniel O'Connell, der Liberator. Geboren in Cahersiveen, war er als gewählter irischer Abgeordneter im Britischen Parlament zugleich der erste Katholik in Westminster. Er war ein moderner Politiker, der Gewaltfreiheit lebte und sie von seinen irischen Gefolgsleuten auch selbst nachdrücklich einforderte. Freiheitsliebend wie er war, trat O'Connell nicht nur für die Unabhängigkeit Irlands ein, sondern ebenso für die Gleichstellung der Juden, gegen die Sklaverei in Großbritannien und Amerika und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Gesellschaft und Staat. Er hat Berge versetzt, um Irlands Weg zur Unabhängigkeit zu ebnen. Von den eisenzeitlichen Ringforts am Ring of Kerry ist es nur ein kurzer Sprung zu seinem Wohnsitz, Derrynane House – es ist heute ein Museum. Das angeschlossene kleine Restaurant mit Tearoom ist nur zu empfehlen. Es gab eine köstliche Sea Chowder und frisches Brot. Das Team dort ist so zuvorkommend und nett. Im Park waren wir mit Sabine Rosenhammer verabredet, die gerade eine Reisegruppe über den Ring of Kerry führte. Die Irlandberaterin hatte für uns die Überfahrt nach Skellig Michael arrangiert. Dank ihrer Hilfe kamen auch wir noch auf den allerletzten Drücker auf die Insel der Gottesfürchtigen. Danke, Sabine!

 Am Ring of Kerry: beim Liberator im Derrynane House

Con Quill ist polyglott, ein nationaler wie internationaler Tourismusexperte, und regional im Süden verwurzelt, in Blarney. Dort im Pub trafen wir uns zu einem letzten irischen Abend. Natürlich sprachen wir über das Wetter. Nicht des Small Talks wegen, sondern wegen der akuten Wetterlage auf der Grünen Insel. Einige Extreme hatten wir ja selbst spüren und erfahren können. Con betreibt einen höchst komfortablen Campingplatz am südlichen Einstieg zu Irlands berühmter Küstenstraße, dem Wild Atlantic Way, in bester Lage zu den Schönheiten der Irischen Riviera und zu den nahen Bergen der McGillycuddy Reeks. Wow! Zwischen Cork und Cobh, zwischen Kinsale, Kenmare und Killarney kennt er alle Ausflugsziele, Bahnanbindungen, Fähren und Fahrradverleiher und hat jede Menge Tipps für seine Gäste. Zugleich ist er der ehrenwerte Vorsitzende des Irish Caravan & Camping Council, der Vereinigung der irischen Top-Campsites. Insofern ist er auf der Höhe, auf Augenhöhe mit den Strategen des Tourismus und den Kollegen im Lande und in Europa. Da gibt es viel zu erzählen. Doch wer in Blarney auf die Zinnen des alten Castle steigt, kann dort oben den Stein der Weisen küssen und wird mit Eloquenz beschenkt, mit irischer Beredsamkeit. Das haben wir gemacht – insofern waren auch wir gut vorbereitet. Danke Con, für deine Gastfreundschaft.

 Blarney Eloquentia: Gespräche über Wind und Wetter

Wir haben sie gesehen, die Grünen Inseln der Gelehrten, der Frommen und Heiligen, und wir haben wunderbare Menschen getroffen in Cornwall, Wales, Nordirland und Irland. Persönlichkeiten, die mit mindestens einem von beiden Füßen im Hier und Heute stehen. Manche sind uns sogar schon einen Schritt voraus. Sie haben uns in vielen persönlichen Begegnungen beschenkt und bereichert: durch ihre Offenheit, Gastfreiheit und Lebensklugheit – und ihr Eintreten für eine bessere Welt. Wir danken allen, die uns bei unseren Recherchen unterstützt und so herzlich Willkommen geheißen haben, und all jenen, die uns so wohlwollend begleitet haben: vor Ort und zuhause. Hier wollen wir jetzt die Materialfülle weiter sichten und in diversen Publikationsvorhaben gezielt verarbeiten.

Wir sind durch, ja. Doch es geht weiter. "The Celtic Ways" werden uns bestimmt noch länger begleiten. Beim nächsten Werkstattbericht geht es denn auch – quasi im Rückblick – um die Zukunftsthemen am Wegesrand. Denn unsere Reise in Zeit und Raum der keltischen Regionen hat uns auch ernste Anliegen mit auf den Weg gegeben.




   Viele Grüße


   Heinz Bück und Sigrid Schusser