Wilfried Henßen - Globetrottel ?

Wilfried Henßen - Globetrottel ?

Wilfried Henßen - Globetrottel ?Wilfried Henßen - Globetrottel ?

Mit Humor und Courage bereist
Landwirt Wilfried Henßen als
70jähriger alle Länder Europas:
trotz seiner Handicaps und allein
unterwegs in seinem kleinen Twingo.



Von Heinz Bück, Herausgeber

Sein Leben lang hat Wilfried Henßen geackert, im wahrsten Sinne des Wortes. Urlaub war für ihn nicht drin. Bis zu seinem 70. Lebensjahr ist der passionierte Landwirt vom Dykerhof bei Wegberg im Heinsberger Land nicht besonders weit aus seiner selfkanter Heimat herausgekommen, von kurzen Fahrten übers Wochenede oder Besuche im benachbarten Holland mal abgesehen. Immer ging der Hof vor. Erst spät und nach langer Krankheit packt ihn das Reisefieber, nun aber richtig. Mit seinem kleinen Auto bereist er zwischen 2010 und 2013 alle Länder Europas. Fast alle, denn noch stehen die Färöer und Island an. Die besucht er im Sommer 2014.

Mehrmals ist Wilfried Henßen dem Tod von der Schippe gesprungen, nicht etwa in der Ferne, nein zuhause in Deutschland. Einen schweren Unfall hat er leidlich überstanden. "Die Ärzte haben mich so gerade noch zurückgeholt", schmunzelt der alte Herr und wird dann ernst: "Ich bin mit einem zweiten Leben beschenkt worden". Das war am 4. Januar 1994, vor nun zwanzig Jahren. Seitdem feiert er seinen zweiten Geburtstag.

"Die Ärzte haben mich so gerade noch zurückgeholt... Ich bin mit einem zweiten Leben beschenkt worden"."Die Ärzte haben mich so gerade noch zurückgeholt...Ich bin mit einem zweiten Leben beschenkt worden". Zwei Gehirnschläge treffen ihn in den Jahren 2003 und 2008. Sie haben ihn nicht umgehauen. Und selbst bei der Diagnose Prostatakrebs bleibt er zuversichtlich, dass der Doktor ihm schon irgendwie helfen wird. "Ich bin nicht der Typ, der den Kopf hängen lässt", lacht er im Nachhinein. Aber dennoch waren diese Zeiten im Krankenhaus hart genug. Wie schon nach der schweren Operation in 2005 kommt auch 2009 die Reha, diesmal in Marmagen in der Eifel. Und mit der Entlassung - einfach so nebenbei - fällt dort die entscheidende Frage der Neurotherapeutin: "Herr Henßen, es ist doch alles recht gut verlaufen! Das Leben geht weiter. Welche Pläne haben Sie denn jetzt?"

Tja, welche Pläne hat der Mensch nach schwerer Krankheit und einem langen arbeitsreichen Leben? Zunächst sind es die kreativen Arbeiten, die Wilfried Henßen in der Ergotherapie für sich entdeckt, das Malen und das Schreiben. Doch eine ganz spontane Antwort auf jene Frage wird sein Leben völlig verändern. Sie lautet: "Reisen", endlich mal raus in die Welt. Es reift ein Entschluss, der wahrhaft weitreichende Folgen haben wird: Wilfried Henßen will Europa bereisen.

"Ich bin nicht der Typ,
der den Kopf hängen lässt."


„Das hatte doch alles prima geklappt.“„Das hatte doch alles prima geklappt.“
Von nun an spart sich der Altbauer von seiner schmalen Rente jedes Jahr ein kleines Reisebudget ab. Die letzten Ersparnisse gehen in ein neues kleines Auto. Dabei hilft ihm die Abwrackprämie, die er für seinen betagten Volvo bekommt. Mit 450.000 Kilometern ist der nun wirklich zu alt für eine solche Reise. Im Sommer 2010 ist Wilfried Henßen startklar. Nach sorgfältiger Planung macht er sich in seinem weißen Twingo das erste Mal allein auf den Weg.

In Berlin wohnt die Schwester. Von dort geht es durch Polen, nach Kaliningrad und ins Baltikum, rein nach Russland Richtung St. Petersburg, um den Ladogasee, durch Karelien und rüber nach Finnland, rauf zum Nordkap und durch Schweden und Dänemark zurück. Als er nach dieser wahrhaft großen Tour wieder gesund, zufrieden und "sehr dankbar", wie er immer wieder betont, zurückkommt, ist er auf den Geschmack gekommen, den Geschmack der großen weiten Welt: „Das hatte doch alles prima geklappt.“ Und so beschließt Wilfried Henßen, nun auch wirklich alle Länder Europas zu bereisen: "das gesamte Abendland".

„Wahrscheinlich haben mich die Russen vor Schlimmerem bewahrt.“„Wahrscheinlich haben mich die Russen vor Schlimmerem bewahrt.“ Im Mai 2011 geht die Fahrt wieder Richtung Osten, durch die Ukraine und erneut nach Russland. Dort fährt er seinen alten Freund Micha besuchen, in Rostow am Don. Der war im zweiten Weltkrieg bei ihnen zuhause auf dem Hof. Vom Schwarzen Meer mal kurz in die kalmückische Steppe bis Wolgagrad und die Wolga entlang nach Astrachan ans Kaspische Meer, den östlichsten Punkt seine vielen Reisen. Als er an den Kaukasus zurückkommt, lässt ihn die Militärpolizei nicht nach Georgien einreisen und verwehrt ihm die Weiterfahrt zum Elbrus, dem höchsten Berg Europas, je nachdem wie man die Grenzen zieht.

„Wahrscheinlich haben mich die Russen vor Schlimmerem bewahrt“, lacht Wilfried. So fährt er zurück zur Krim und erreicht über Moldavien, Rumänien und Bulgarien die Türkei. Von dort reist er an die Mittelmeeranrainerstaaten und ist nach 62 Tagen und 18.330 Kilometern wieder daheim in Wegberg. Dort erklärt ihn längst niemand mehr für verrückt. Nein, die sagen: "Respekt, Wilfried! Dass du dass wahrmachst. Sagenhaft!"

„Es ist ja wirklich nicht
gesagt, dass man gesund
zuhause ankommt.“


"Respekt, Wilfried! Dass du dass wahrmachst. Sagenhaft!""Respekt, Wilfried! Dass du dass wahrmachst. Sagenhaft!" Nein, er ist nicht verrückt und auch nicht mehr zu bremsen. 2012 peilt er den Süden Europas an. Von Österreich überquert er die Dolomiten, fährt in die Balkanstaaten und von Durres in Albanien an der Adria entlang zurück nach Italien. Natürlich mit Abstechern nach Sizilien und Malta, selbstverständlich mit einem Besuch der Nachbarinsel Gozo. San Marino und der Vatikanstaat wurden nicht ausgelassen. Denn wie sagte Wilfried: „...die kleinen Staaten könnten sonst beleidigt sein.“ Über die Schweiz kommt er wieder nach Hause, damit er auch die Eidgenossen in der Sammlung hat.

Im Mai 2013 packt ihn wieder die Reisefieber. Mit seinem kleinen Twingo geht er erneut auf Fahrt. Von Frankreich reist er über Spanien nach Portugal an den westlichsten Punkt im Süden Europas, den Cabo da Roca. Andorra und Monaco sind als Kleinstaaten aus genannten Gründen Pflicht. Er genießt es und ist dankbar. „Es ist ja wirklich nicht gesagt, dass man gesund zuhause ankommt,“ schmunzelt Wilfried.

"Mit Irland hab´ ich nun alle Länder Europas geschafft... fast alle, bis auf die Färöer und Island"."Mit Irland hab´ ich nun alle Länder Europas geschafft... fast alle, bis auf die Färöer und Island".Im Westen fehlen ihm noch die britische Insel: England, Wales, Schottland - und gegenüber die Grüne Insel, die Republik Irland. Dort treffen wir uns eher zufällig, nahe der Cliffs of Moher. "Mit Irland hab´ ich nun alle Länder Europas geschafft", erzählt uns der pensionierte Landwirt. Fast alle oder genauer: bald alle. Denn im Sommer 2014 will er noch abseits vom Schuss auf die Färöer Inseln und nach Island. Es sind die letzten unentdeckten weißen Flecken auf seiner Europakarte und es sind spektakuläre Reiseziele, die sein Projekt krönen sollen. Dann hat er wirklich ganz Europa geschafft, von Nord nach Süd, von Ost nach West, das gesamte Abendland.

"Mit Respekt und Achtung vor den Menschen kommst du überall durch", sagt er. Er hat es bewiesen, auch wenn er am Stock geht. Ungeachtet seiner Handikaps und mit seinem kleinen Budget, das er sich jährlich zusammenspart. Ja, manchmal auch beisammenfriert, wenn er die Heizung seiner kleinen Wohnung im Frühjahr schon ausdreht, um zu sparen. Oder wenn er unterwegs in seinem kleinen Auto vorne quer zusammengekauert übernachtet. So ist er zum Kaspischen Meer und bis an den Nordatlantik gekommen, sehr genügsam, mit Selbstcourage und mit offenen Augen für Land und Leute. Dieses Jahr 2014 wird er 77.

"Mit Toleranz, Respekt und
Achtung vor den Menschen
kommst du überall durch."


"Ich bin sehr dankbar, dass ich das alles sehen durfte.""Ich bin sehr dankbar, dass ich das alles sehen durfte."Wir tauschen die Adressen aus: mit dem Heinsberger und Aachener Land gelten wir ja nicht nur in Irland als direkte Nachbarn. Auf seiner Visitenkarte steht: Wilfried Henßen, Globetrottel. Ja, ein Schuss Selbstironie, Bescheidenheit und viel Humor klingen da mit. Sie sind es denn wohl, die ihn wahrhaft voranbringen, ihn lebendig halten und offen machen für die wahrhaft großen Geschenke des Lebens, die anderen verborgen bleiben.