Von Lettland nach Estland

Über Litauen nach Lettland und Estland

Mittlerweile bin ich in Nidden angekommen. Die Fahrt hierher, eine Strecke rechts und links der Straße bewaldet. Kleine Unterbrechungen haben mal den Blick auf das Haff, mal auf die Ostsee freigegeben, so dass man bis in die Dünen laufen konnte. Da ist sie nun, die viel beschriebene Stadt Nidden, hübsch herausgeputzt mit den Fischer- und Kapitänshäusern. Hier gibt es reichlich Verkaufsstände und Lokalitäten, aber teuer!! Am Ende der Nehrung geht es dann mit der Fähre nach Kleipeda, das frühere Memel.
Vor dem ersten Weltkrieg reichte unser Deutschland bis hier her. Millionenfaches Leid, Schmerzen, Zerstörungen, Umwälzungen, Landverlust, neue Feindseligkeiten, das alles haben die beiden Kriege uns hinterlassen, auf beiden Seiten. Hoffentlich nie wieder.
5 € für den Naturschutz, wenn man über die Nehrung fährt. Bis in die hohen Dünen (40m) laufen, hätte ich körperlich nicht geschafft, mit der Fähre nach Memel ist sogar umsonst. Es ist ohnehin schon spät geworden, so dass ich keine Pension mehr anfahren brauche. Also suche ich mir eine Stelle, wo ich ungestört im Auto übernachten kann.

Siehe Bilder 19, 20, 25, 26 und 27

23.5.2010
Labas rytas, guten Morgen. Zugegeben, man kann das nicht in wenigen Wochen von etlichen Ländern auswendig lernen. Zum Schluss wirft man alles durcheinander. Da haben es die Vögel doch viel leichter. Kukuk in Polen, in Russland und auch hier alle gleich. Die Nachtigall, die diese Nacht, nur wenige Meter von meinem Auto entfernt, ihr Lied angestimmt hat, singt die gleichen Strophen auch diesseits der Grenze. Da haben wir Menschen doch etwas Grundlegendes falsch gemacht.

Siehe Bild 21

Habe wider Erwarten gut geschlafen, auch „ömme söns“.
Bin schon 2880 km gefahren in einer guten Woche. Habe sehr viel gesehen und Schönes erlebt. Fahre heute noch weiter nach Palanga und Liepäja (LV).
Huste Kuchen, wird nichts draus. Das Wetter spielt mal wieder nicht mit. Es regnet sehr stark. Bin einem Hinweis an der Straße gefolgt und habe eine neue Bleibe gefunden.

Siehe Bilder 28 und 29

Viele kleine Häuschen, die meisten nur ein Zimmerchen, einfach nett. Und noch mehr Gewitter und Starkregen. Bin froh, dass ich ein Häuschen anmieten konnte.
Nun bleibt auch wieder Zeit, um alles aufzuarbeiten, Rasieren, Duschen, Kleiderwechsel, Auto aufräumen usw. Sanitäre Anlage, und Küche, wo man selber Essen bereiten kann, sind nur wenige Schritte entfernt. Rundherum Klasse!
Wenn der Regen nachlässt, gehe ich hin und bereite mir mein Abendbrot. Zwischendurch nutze ich immer die Zeit zum Schreiben und Festhalten, dass nichts verloren geht. Für morgen strebe ich dann eine Exkursion nach Kapp Kolka, Rags und Riga an.


24.5.2010
Labrit, guten Morgen! Die Gewitter sind fortgezogen und haben ein frisch gewaschenes Blau hinterlassen. 9 Uhr, auf geht’s, das Navi ist schon programmiert. Übrigens, in Litauen und Lettland funktionierte es wieder. Mein Ziel läge an einer unbefestigten Straße, sagt mir Navijenia. Wer weiß, was da wieder auf mich zukommt. Der lettische Rundfunk sendet sogar deutsche Musik. Nur der Blick aus dem Auto trübt die Stimmung. Wo man hinschaut, Armut!

Siehe Bilder 22, 23 und 24

Nur bei den Kirchen nicht. Der Boden, die Häuser, die Menschen in den Dörfern, alles sieht ärmlich aus. Die Landschaft wird zum Teil zersiedelt. Große, weite Flächen Grasland verbuscht, sehr viel Wald rechts und links der Straße. Dann, wie aus dem Nichts, auf einmal Landwirtschaft, mal klein mit einigen Kühen, mal etwas größer. Zunächst ist die Landschaft eben, dann wieder wellig bis hügelig. Die Straße führt teils kurz an der Ostsee vorbei. Meine Navijenia hat Wort gehalten. Die Fahrbahn wird erneuert, und ich weiß, was sie gemeint hat, gemahlene Steine, Schotter. Ich komme mir vor wie auf der Rallye Paris-Dakar. Man hinterlässt eine riesige Staubwolke. Wenn dann noch ein LKW entgegen kommt, hüllt sich alles in Gelbweiß. Für diese Strecke brauche ich lange. Ich habe vergessen auf den Zähler zu sehen. Junge, die war laaaaaaaang.

Das ist aber nicht alles. Es geht wegen einer Baustelle nicht weiter und die Routenplanerin schickt mich kurzerhand in den Wald. Ich glaube es nicht, nein, kreuz und quer, habe längst die Orientierung verloren. Was hat die Frau mit mir vor? Zum ersten Mal hege ich ernste Zweifel an dieser Technik. Wilfried, wenn das Navi jetzt ausfällt, kommst du ohne Kompass nicht mehr hier raus. Der unbefestigte Waldweg ist so schmal, dass kein Gegenverkehr vorbei könnte. Ich brauche nicht in den Adrenalinspiegel hineinsehen, merke ohnehin, dass mein Kopf rot wird. Oh, ist das aufregend. So geht das immer, immer weiter, bis endlich mehr Licht auf den schmalen Waldweg gelangt. Da ist sie, eine heiß ersehnte feste Straße. Auf der Karte kann ich dann sehen, es muss eine Parallelstraße zu der ersten sein. Vielleicht kann der stille Beobachter (du) meine Erleichterung in diesem Moment nachempfinden.
Es liegt ja noch eine gehörige Strecke vor mir, aber es geht zügig voran. Nationalpark – Kolka rags, die Spitze am Rigaer Meerbusen ist erreicht. He, he, Meerbusen ist hier ein Wort und wird mit „ee“ geschrieben.
Die Straße schlängelt sich südlich, oft kurz am Wasser entlang, in Richtung der Hauptstadt Riga.

Siehe Bild 30

Die allgemeine Behauptung, dass Riga die schönste der drei baltischen Hauptstädte sei, kann ich nur unterstreichen. Eine prächtige Stadt mit reger Betriebsamkeit, herrliche alte Bauten, weitaus mehr erhalten als in Wilnius. Es geht dann zurück zum Quartier. Dunkel und nebelig wird es inzwischen, so dass ich Mühe habe, mein Häuschen zu finden. Wer sagt’s denn, dort ist die Einfahrt. Das war ein Tag, der hatte schon einen Hauch von Abenteuer in sich. So, nun muss noch eine richtige Mahlzeit her, Bratkartoffel mit Eier und Speck, Krautsalat und Tomaten. Eine Brühe, damit es besser rutscht und einen Apfel hinterher. Mann, ich hatte Hunger und esse mit gutem Appetit. Gute Nacht, Labrit!

25.5.2010
Labrit! Augen auf, da habe ich schon keine Lust zum Aufstehen mehr. Dauerregen, grau in grau, und ich wollte doch mein Auto mal ein bisschen zurecht räumen.

Siehe Bild 31

Ne, ne, was macht man bei so einem Wetter, 7 -8°C Temperatur. Im Bett verkriechen oder weiterfahren? Zum Verweilen ist das nichts. Die Hauswirtin hat mir eine Arbeit abgenommen. Sie hat die geschriebenen Karten mit zur Post genommen und frankiert sie auch.
9 Uhr Abfahrt, Gas tanken und Kleinigkeiten zum Essen kaufen. Bevor ich die nächste Grenze überschreite, schütte ich ein Portemonnaie aus. Ich habe ja zwei, nicht weil ich soviel Geld habe, dass es nicht in eines reinpasste, nein, eins für Euro und eins für die jeweilige Landeswährung, Ordnung muss schließlich sein. Bezahlen muss ich an der Tanke dann mit dem Rest von 19 Lats. Das entspricht bei dieser harten Währung ungefähr 30 €. Nun weiß ich auch woher der Ausdruck kommt: „Da kannst du aber richtig latsen.“
Jetzt geht die Etappe nach Estland. Zuerst an Riga vorbei, danach Richtung Pärnu (Est). Heute versuche ich doch etwas früher eine Bleibe zu finden. Es regnet und regnet. Dann nach langem Suchen finde ich einen Bauernhof, der kleine Häuschen vermietet, mit Frühstück. Ich war aber auch „fast am Weinen“.

Siehe Bilder 32 und 33

Es regnet immer noch, möchte telefonieren, nur das Handy will mal wieder nicht. Der Sohn des Hauses, der etwas davon versteht, richtet es mir dann.

26.5.2010
Tere hummikust! Gut geschlafen, der Kuckuck hat mich geweckt. Der Wald ist so dicht am Fenster wie zuhause, etwa fünfzehn Meter entfernt. Wieder habe ich die eine Stunde Zeitverschiebung (vor) vergessen. Dann aber hurtig, um 8 Uhr ist Frühstück angesagt. Geht doch nicht, stelle sofort die Uhr vor. Die Unterkunft ist gut und geräumig. Ein warmes Bett mit dicker Matratze, was braucht man denn noch mehr? Gefrühstückt wird mit den Bauersleuten an einem Tisch im Haus. Echt gemütlich.
Zur Abwechslung mal Sonnenschein. Den kann ich heute für diese Tour auch gut gebrauchen. 22.30 Uhr, bin müde und kann mich nicht konzentrieren. Schreibe morgen weiter.

27.5.2010
Tere hommikust, es ist wirklich schwer, so viele Sprachen. Heute hat Sigrid, ein Patenkind von mir, Geburtstag. Leider weiß ich die Telefonnummer nicht auswendig.
Ehe ich weiterfahre, trage ich schnell von gestern etwas nach: Gefrühstückt hatte ich schon gut mit den Leuten zusammen. War dann auf der schönen Insel Saaremaa, mit der Fähre 17 € hin und zurück. Von der kleineren Insel Muhu nach Saaremaa führt ein langer Damm. Rechts und links der Straße wechseln dann auch mal Wasser und Rietflächen ab, es ist schon ein besonderer Charakter. Eine Besonderheit gibt es auch in der „Hauptstadt“ Kuressaare, Bischofsburg, groß und mächtig, eine Zitadelle, schön anzusehen.

Siehe Bilder 34 und 35

Gebaut wurde sie im 14. Jahrhundert für einen Bischof, gekämpft wurde nie. Es war schon allerhand, was die Kirchenfürsten sich von den Bürgern abzwackten. Zurzeit ist ein Museum darin untergebracht. Abends dann hierher zurück nach Ulu.

28.5.2010
Grau in Grau geht es heute in die estnische Stadt Tallinn. Dem Navi gebe ich „Hafen“ ein, aber es kann damit nichts anfangen. An dem Punkt sind die Geräte doch verbesserungswürdig. Nach langem Suchen finde ich doch hin, habe aber viel Zeit verloren. Dabei will ich mich doch nur erkundigen, was die Überfahrt nach Helsinki kostet (als Alternative). Verschiedene Preise zwischen 50 € und 75 € für eine Person mit kleinem Auto, je nach Wochentag, Tageszeit und Schiff. Die Preise sind nicht zu teuer.
Eine frische Brise weht hier allerorts bei satten 8°C plus.

Siehe Bilder 36, 37 und 38

Von den drei baltischen Hauptstädten ist Tallinn für meine Begriffe die lebhafteste. Die Autofahrer rasen alle wie die Teufel, auch bei diesem Mistwetter. Aus der Stadt wieder raus, fahre durch Loksa und Palmse in den Nationalpark und dann, auf Anraten des Hauswirts, über Viljandi zurück.

Siehe Bilder 39 und 40

Er schwärmte von einer schönen Gegend. Es ist auch wirklich hübsch. Voreifel auf estnisch, wenn man sonst keine Berge hat!! Elche habe ich auch reichlich gesehen, wenigstens auf den Warnschildern am Straßenrand. Ich kenne mittlerweile schon mindestens 80% der Straßenbaustellen und Schotterpisten, und die sind laaaang. Dank Navijenia wieder gut im Quartier angekommen. Dann noch schnell Abendessen gekocht, das gleiche wie gestern, Nudelsuppe, mit reichlich Wurst reingeschnippelt, Paprika und Tomaten. Ich bin rundherum satt und zufrieden. Es ist ein interessanter Tag gewesen.
Josefa verhält sich mir gegenüber angenehm zurückhaltend. Ich hoffe, dass es auch so bleibt auf der langen Strecke, die noch vor uns liegt.
So, mal sehen, wie es an der Grenze in Narva zugeht.

Fortsetzung: Ein Stück Russland